Zunehmende Behinderung der Arbeit der israelischen „Ärzte für Menschenrechte“ in der Westbank und dem Gazastreifen

5. November 2009

Die israelische Organisation der Ärzte für Menschenrechte (PHR - Physicians for Human Rights) ist eine Vereinigung von israelischen Ärzten und anderem Fachpersonal aus dem medizinischen Bereich, die sich für die Menschenrechte und insbesondere das Recht auf medizinische Versorgung einsetzen.  Die PHR-Israel sehen ihre Aufgabe nicht nur darin, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken und dagegen im öffentlichen Diskurs und mit unter mit Rechtsmitteln anzukämpfen, sondern sie leisten auch einen praktischen Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Menschen, deren Zugang zu dieser beschränkt ist. So stellen die Mitglieder in ihrer Freizeit ihre medizinischen Dienste in verschiedenen Projekten der Organisation unentgeltlich zur Verfügung. Zu diesen gehört seit vielen Jahren zum Beispiel die „offene Klinik“ in Tel Aviv-Yafo, die Menschen medizinisch versorgt, die nicht krankenversichert sind und mithin keinen erschwinglichen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Gegenwärtig sind dies vor allem Migranten. 



Seit ihrer Gründung erstreckt sich die Tätigkeit der PHR auch auf die von Israel besetzten Gebiete, da Israel nach internationalem Recht als Besatzungsmacht für die Einhaltung der Menschenrechte und somit auch für die medizinische Versorgung der Bevölkerung in diesen Gebieten verantwortlich ist. Seit mehr als 20 Jahren leisten die PHR im Rahmen ihrer (begrenzten) Möglichkeiten in den besetzten Gebieten in verschiedenen Formen medizinische Hilfe, einschließlich medizinischer Behandlung und Konsultationen, Operationen, die Aus-/Fortbildung von palästinensischen medizinischen Personals, die Versorgung mit Medikamenten und in besonders komplizierten Fällen die Überführung von Patienten zur Behandlung in israelische Krankenhäuser.



In diesem Rahmen organisieren die PHR auch eine „mobile Klinik“. Jeden Samstag fährt eine Gruppe von Ärzten und anderem medizinischen Personal an einen Ort in die Westbank. In Koordination mit palästinensischen Partnern aus dem medizinischen Bereich wird jeweils ein Ort ausgewählt, der zu den Ortschaften gehört, deren Einwohner aufgrund israelischer Maßnahmen (wie zum Beispiel Straßensperren) nur erheblich beschränkten oder keinen Zugang zu palästinensischen medizinischen Versorgungszentren haben. Obwohl das Team der „mobilen Klinik“ Straßensperren problemlos passieren können sollte,  ist dies keineswegs immer der Fall. Es kommt immer wieder vor, dass der Konvoi an einer Straßensperre warten muss, oder dass ein Ort aufgrund einer Blockade nur zu Fuß erreichbar ist. Während solche Schwierigkeiten eher die Ausnahme waren, hat sich nach Angabe der PHR die Situation in der letzten Zeit drastisch geändert. Der Konvoi wird oft für viele Stunden von den israelischen Soldaten an Straßensperren aufgehalten, bevor er diese passieren darf. Dies bedeutet für das Team der „mobilen Klinik“ nicht nur die Unannehmlichkeit des langen Wartens, sondern vor allem auch, dass diese Zeit für die medizinische Behandlung verloren geht. Da am Sonntag die Arbeitswoche beginnt und es sich um eine wöchentliche und nicht um eine einmalige Aktion handelt, muss das Team möglichst zur vorgesehenen Zeit nach Israel zurückkehren. Außerdem werden die Möglichkeiten der medizinischen Hilfe in letzter Zeit zunehmend dadurch beeinträchtigt, dass die vom Konvoi mitgeführten Medikamente und medizinischen Geräte nur mit großen Schwierigkeiten oder gar nicht an den Straßensperren durchgelassen werden.



Angesichts der israelischen Blockade des Gazastreifens und der dadurch verursachten Krise in der medizinischen Versorgung der palästinensischen Bevölkerung beschlossen die PHR 2008, ihre Arbeit auch auf den Gazastreifen auszudehnen. Seitdem gestatteten die israelischen Behörden neun Ärzteteams der PHR, die auch medizinische Geräte und Medikamente mitführten, den Zutritt in den Gazastreifen. Die letzte dieser Delegationen war im Mai 2009 im Gazastreifen, d.h. nach Beendigung der „Operation Cast Lead.“ Seitdem wurden alle (acht) Anträge der PHR auf Genehmigung der Einreise weiterer Ärzteteams in den Gazastreifen von den israelischen Behörden ohne Begründung abgelehnt – und dies obwohl im gleichen Zeitraum einigen anderen israelischen Ärzten, die nicht den PHR angehören, erlaubt wurde, in den Gazastreifen einzureisen. 



Neben den Ärzteteams und Hilfssendungen bemühen sich die PHR noch auf eine weiter Weise, Menschen im Gazastreifen medizinisch zu helfen. In lebensgefährlichen oder anderen dringenden Fällen, für die es im Gazastreifen keine Behandlungsmöglichkeit gibt, erstellen sie die erforderlichen medizinischen Gutachten und beantragen die Überführung der betroffenen Patienten nach Israel oder in die Westbank. Dies ist keinesfalls ein reibungsloser Prozess. Nach einer von den PHR durchgeführten Studie konnte zwischen Januar und August 2009 mehr als ein Drittel der Kranken, die einen Antrag auf Aufreise aus dem Gazastreifen zum Zwecke dringender medizinischer Behandlung gestellt haben, die angesetzten Behandlungstermine nicht einhalten. Nach Angaben der Studie haben die israelischen Behörden in der Vergangenheit solche Anträge relativ zügig genehmigt. In dem untersuchten Zeitraum lassen sich jedoch vermehrt Ablehnung feststellen. Diese haben zur Folge, dass eine Genehmigung erst auf dem langwierigen gerichtlichen Weg erzielt werden kann. Nach Beurteilung der Studie ist der israelische Sicherheitsdienst Shin Bet der Hauptgrund für die Verzögerungen. Es wird eine zunehmende Zahl der kranken Antragsteller zu Verhören vorgeladen. Nicht selten wird der Termin für das Verhör, das Voraussetzung für die Genehmigung ist, so spät angesetzt, dass der Behandlungstermin nicht eingehalten werden kann. So wurden zum Beispiel im Juli 2009 735 Anträge auf Ausreise für medizinische Behandlung gestellt. Davon wurden 515 rechtzeitig genehmigt und 17 abgelehnt. In 203 Fällen wurde der Antrag verspätet, d.h. nach dem angesetzten Behandlungstermin, genehmigt; in 51 Fällen betrug die Verspätung mehr als einen Monat.



Zur Veranschaulichung führt die Journalistin Amira Hass in ihrem Artikel über die Studie der PHR einen konkretes Beispiel an. Es handelt sich dabei um einen 58-jährigen Mann, bei dem im März 2009 ein bösartiger Gehirntumor festgestellt wurde, der in einem Krankenhaus in Ost Jerusalem operiert werden soll. Ursprünglich wurde die OP für den 27. April angesetzt, musste jedoch aufgrund der Spannungen zwischen den palästinensischen Behörden in Ramallah und Gaza, die für einen Monat die medizinische Behandlung von Menschen aus dem Gazastreifen in der Westbank unterband, verschoben werden. Als neuer Termin wurde der 28. Juni angesetzt, konnte aber nicht eingehalten werden, weil die israelischen Behörden den Antrag nicht bearbeiteten. Daraufhin wurde die OP auf den 1. August verschoben. Die Bearbeitung des Antrag verzögerte sich jedoch, weil der Shin Bet den kranken Mann erst für den 2. August zu einem Verhör vorlud. Zu diesem Zweck brachte die Ehefrau ihren kranken, im Rollstuhl sitzenden Mann von Rafah, wo die Familie wohnt, zum Grenzübergang Erez. Nach der beschwerlichen Reise von einem Ende des Gazastreifens zum anderen wurde das Verhör abgesagt (d.h. auf einen noch unbestimmten Termin verschoben), weil die israelischen Sicherheitsbeamten fanden, dass der Mann zu krank sei, um verhört zu werden. Seitdem wurden drei weitere Termine für die OP angesetzt (3. August, 13. September und 1. Oktober), aber eine Genehmigung wurde immer noch nicht erteilt.



Trotz solcher Schwierigkeiten konnten die PHR in vielen Fällen mithelfen, Menschen, die dringende medizinische Versorgung benötigten, die im Gazastreifen nicht geleistet werden konnte, zur Behandlung in Krankenhäusern in Israel oder der Westbank zu bringen. Diese Möglichkeit besteht nun auch nicht mehr. Am 13. September 2009 beschloss Oberst Moshe Levi, der Kommandant des Koordinationsbüros der israelischen Armee für den Gazastreifen (Gaza District Coordination Office), Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu seinem Büro zu verwehren. Das heißt, diese Organisationen können keine Anträge auf Aus- oder Einreisegenehmigung für Menschen aus dem oder in den Gazastreifen mehr stellen oder vertreten. 



Die Entscheidung betrifft nicht nur die PHR, sondern auch andere in diesem Bereich tätige Menschenrechtsorganisationen wie vor allem Gisha – Legal Center for Freedom of Movement  und HaMoked – Center for the Defence of the Individual.  Allein im letzten Jahr (2008) betreuten diese Menschenrechtsorganisationen ca. 1.600 Fälle von Reiseanträgen aus humanitären Gründen. Die Entscheidung erschwert oder verschließt nicht nur den Zugang zu dringend erforderlicher medizinischer Behandlung, sondern kann auch die Möglichkeit des Missbrauchs eröffnen, da den Betroffenen Beratung verwehrt wird. Gisha berichtet zum Beispiel von einem Fall, in dem eine Frau im Gazastreifen für sich und ihre Kinder den Antrag gestellt hat, ihre Familie in der Westbank kurz zu besuchen. Ihr wurde mündlich mitgeteilt, dass der Antrag genehmigt wurde und dass sie sich mit ihren Kindern am Erez Checkpoint einfinden soll. Den Vertretern von Gisha wurde weder erlaubt, die schriftliche Genehmigung einzusehen, noch die Frau zu begleiten. Nach vielen Stunden des Wartens am Checkpoint erfuhr die Frau, dass sie nur ausreisen darf, wenn sie sich verpflichtet, nie wieder in den Gazastreifen zurückzukehren.



In ihrem Bericht über die Entscheidung von Oberst Levi schreibt Amira Hass, dass sich diese Maßnahme gezielt gegen die drei Menschrechtsorganisationen (PHR, Gisha und HaMoked) richte, die Tausende von Palästinensern im Laufe der Jahre vertreten haben – und dies gerade weil sie keine wohltätigen Vereine seien noch zum „Friedens“-Establishment gehören. „Im Gegenteil: sie sprechen über die Besatzung und die sich daraus ergebenden Pflichten, denen die [israelische] Armee nicht nachkommt. Auf diese Weise stellen sie die Kriterien and Verordnungen [der Armee] moralisch in Frage“.

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