Menschenhandel: Im- und Export für Prostitionszwecke

 

Anfang März 2009 konnte die Tel Aviver Polizei einen großen Erfolg bekannt geben. Sie nahm 12 Personen fest, die unter dem Verdacht stehen, zu einem internationalen Menschenhändlerring zu gehören. Nach den Angaben der Polizei konnte auch der Chef der Bande, ein Mitglied eines Moshavs im Norden Israels, gefasst werden. Den Verhafteten wird vorgeworfen, dass ihre Organisation in den letzten Jahren Hunderte von Frauen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Israel geschmuggelt und hier zur Prostitution gezwungen hat. Den Verhaftungen ging eine zwei-jährige polizeiliche Untersuchung voran, während derer es der Polizei gelang, die Bande zu infiltrieren. Die Untersuchungsergebnisse zeigen eine weitgehende Vernetzung von kriminellen Gruppen über Landesgrenzen hinaus. Demnach hat der Menschenhändlerring mit einer Reihe von kriminellen Gruppen zusammengearbeitet, die die Aufgabe hatten, „passende“ Frauen in Dörfern und Kleinstädten in Russland, der Ukraine, Belarus, Moldovien und Uzbekistan zu finden und zu „rekrutieren“. Zum Teil konnten die Frauen mit Versprechen von Arbeit in Israel (zum Beispiel als Kellnerinnen) zur Reise überredet werden, aber es wurden auch Fälle dokumentiert, in denen die Frauen unter Anwendung auch extremer Gewalt zu der Reise gezwungen wurden. Die Frauen wurden entweder über Ägypten (auf dem Landweg) oder über die Türkei (auf dem Luftweg) nach Israel gebracht. Einen ersten Teilerfolg gab es bereits vor mehr als einem Jahr, als die russische Polizei (in Zusammenarbeit mit der israelischen) 13 israelische und russische Mitglieder des Menschenhändlerrings verhaftete. Seitdem hat die Organisation begonnen, das Zentrum ihrer Prostitutionsgeschäfte allmählich von Israel nach Zypern zu verlagern.

Erfolgsberichte dieser Art sind relativ selten und dies obwohl Menschenhandel für Prostitutionsgeschäfte in Israel relativ weit verbreitet ist und eher zu- als abnimmt. Gemäss einer Studie, die von Nomi Levenkron und Yossi Dahan 2003 im Auftrag der Nicht-Regierungsorganisationen Hotline for Migrant WorkersIsha L’Isha – Haifa Feminist Center  und Adva Center  veröffentlicht wurde,  begann der Menschenhandel für Prostitutionsgeschäfte in Israel in den frühen 90er Jahren. Dies wird einerseits den Folgen der Auflösung der Sowjetunion, insbesondere den großen wirtschaftlichen Veränderungen und dem Zusammenbruch des Sozialnetzes, zugeschrieben, und dem relative hohen „Bedarf“ an Prostituierten in Israel. Bis 2000 galt die Aufmerksamkeit der israelischen Behörden lediglich den Frauen als illegale Migrantinnen, die es zu verhaften und abzuschieben galt. Ein im Mai 2000 veröffentlichter Bericht von Amnesty International über die Situation in Israel erregte großes öffentliches Aufsehen. Der öffentliche Druck bewog die Knesset zu einer Änderung des Strafrechts, das somit seit August 2000 auch Menschenhandel für Prostitutionszwecke unter Strafe stellt.

Es ist allerdings fraglich, ob die Gesetzesänderung zu einer Änderung in der Praxis geführt hätte, wäre nicht ein weiterer Faktor hinzugekommen. Seit 2001 engagierte sich die US-amerikanische Regierung in der Bekämpfung des weltweiten Frauenhandels und drohte damit, die Wirtschaftshilfe an Länder einzustellen, die keine Maßnahmen zur Bekämpfung des Phänomens ergreifen. Nach einem Bericht des amerikanischen Außenministeriums stand Israel 2001 auf der untersten Stufe in Bezug auf die Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel, während nach Schätzung des Berichts circa 3.000 Frauen jährlich für Prostitutionszwecke nach Israel verschleppt wurden.  Die drohenden Sanktionen bewegten die israelischen Behörden, Schritte zur Umsetzung der Strafrechtsänderung zu ergreifen – wenn auch nicht auf dem schnellsten Weg. Die Polizei richtete eine entsprechende Sondereinheit ein. Ursprünglich gehörten ihr 13 Beamte an. Vier davon wurden jedoch kurz darauf wieder abgezogen, so dass die Einheit aus lediglich 9 Beamten bestand.

Darüber hinaus arbeitete die Einheit mit sehr begrenzten Mitteln, was sich besonders negativ auf die Opfer, die betroffenen Frauen, auswirkte. Nicht nur konnten so wenige Beamte lediglich einen Bruchteil der vorhandenen Händler untersuchen. In den Fällen, in denen Untersuchungen liefen, fehlte es an Schutzmassnahmen für die Frauen, was wiederum die Strafverfolgung vereitelte. So gelang es zum Beispiel  im Jahr 2003 der Polizei zwei Frauen dazu zu überreden, gegen Boniyat Zada, der unter dem Verdacht stand, einer der größten „Importeure“ von Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion in Israel zu sein, auszusagen. Aufgrund der Aussage der beiden Frauen konnte Zada verhaftet und angeklagt werden. Allerdings musste die Anklage wieder fallengelassen (und Zada aus der Haft entlassen) werden, weil die beiden Zeuginnen „verschwanden“.

In der ersten Zeit nach der Strafgesetzänderung wurden solche Zeuginnen inhaftiert. Diese Praxis wurde jedoch gerichtlich verboten. Da es zunächst kein alternatives Zeugenschutzprogramm gab, brachte die Polizei solche Zeuginnen in einer Herberge in Tel Aviv unter, dass heißt an einem Ort, der für frei zugänglich war. Während der Wartezeit waren die Beamten der Sondereinheit für die Zeuginnen zuständig und mussten sich zum Beispiel auch um deren medizinische Betreuung kümmern. Die Zeit, die für die Zeugenbetreuung benötigt wurde, ging natürlich auf Kosten anderer Arbeitsbereiche. Gleichzeitig reichte das Personal nicht aus, um die Frauen die ganze Zeit zu beschützen. Somit schwebten die Frauen oft in großer Gefahr, während sie ohne Einkommen (sie bekamen 200 Schekel, ca. 35 Euro, monatliches Taschengeld) für viele Monate auf die Gerichtsverhandlung warten sollten. Angesichts dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, dass „verschwundene“ Zeuginnen eher die Regel als die Ausnahme waren.

Solche spektakuläre Fehlschläge in der Strafverfolgung, öffentlicher Druck vor allem von engagierten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), zu dem auch die oben zitierte Studie gehört, und internationaler (vor allem US amerikanischer) Druck hatten dann doch positive Folgen. Unter anderem hat das Ministerium für Sozialfragen im April 2003 ein erstes Projekt für einen „Shelter“ (Frauenhaus) ausgeschrieben.  In der Folge wurde von den Behörden in Zusammenarbeit mit NGOs, wie der Hotline und Isha L’Isha, ein Shelternetzwerk aufgebaut, das Zeugenschutz gewährt. In wie weit diese Einrichtungen allen in die Prostitution gezwungenen Frauen zur Verfügung stehen sollen oder nur denjenigen, die bereit sind, als Zeuginnen in Strafverfahren auszusagen, wurde zum Hauptgegenstand der Kontroverse zwischen den offiziellen Stellen und den NGOs. Trotz der Schwächen des Systems konnte 2007 positive Bilanz gezogen werden. In einem im Auftrag von Isha L’Isha und der Hotline verfassten Bericht zum Stand der Situation und der Zusammenarbeit konnte festgestellt werden, dass der Frauenhandel in seiner bisherigen Form so gut wie beseitigt wurde.

Der Erfolg war allerdings nur von kurzer Dauer. Ab Anfang 2008 traten neue Visa-Bestimmungen für Reisen von und nach Russland in Kraft. In deren Rahmen wurden die besondere Kontrolle und die Beschränkungen, die bis dahin für die Einreise von Frauen unter 35 Jahren bestanden, um Menschenhandel auszuschließen, aufgehoben. Wie der oben erwähnte Fall des Menschenhändlerrings zeigt, scheint das Geschäft wieder zu blühen. Für diese Einschätzung spricht auch der Regierungsplan zur Bekämpfung des Frauenhandels vom Juni 2008. Dieser Plan wurde von einem zu dieser Frage geschaffenen Komitee, dem die Generaldirektoren von neun Ministerien angehören,  von Vertretern der Polizei und von in dieser Frage engagierten NGOs ausgearbeitet. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Regierungsplans erklärte Anwältin Rochelle Gershuni, die Koordinatorin des Justizministeriums von Regierungsämtern und NGOs im Kampf gegen Menschenhandel, dass gegenwärtig (d.h. 2008) weniger als ein Tausend Frauen nach Israel für Prostitutionszwecke verschleppt wurden (2003 waren es noch ca. 3.000 Frauen). Dennoch werde erwartet, dass sich die Situation wieder verschlechtern wird, nicht zuletzt aufgrund der geänderten Einreisebestimmungen.

Der Regierungsplan zeigt, dass es bisher kaum gelungen ist, Strukturen zu schaffen, die eine effektive Behandlung des Phänomens ermöglichen. Der Plan selbst bewegt sich fast ausschließlich auf der Ebene einer Absichtserklärung. Konkret sieht er die Einsetzung von fünf Arbeitsgruppen vor, die in „den nächsten Monten“ einen operativen Plan entwerfen und das dafür erforderliche Budget berechnen sollen. Der programmatische Teil lässt die großen, bisher ungelösten Probleme ahnen. So sollen die Frauen sicher in ihre Heimatländer zurückgebracht werden, und sie sollen medizinische Versorgung erhalten, während sie in Israel sind. Es soll eine Aufklärungskampagne in Israel und den Ursprungsländern organisiert werden, die die Auswirkungen für die Opfer des Menschenhandels erklärt. Es wird empfohlen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sich die aus Menschenhandel gewonnenen Profite zu verringern. Es sollten Gelder zur Verfügung gestellt werden, damit Übersetzer/Dolmetscher eingesetzt werden können, um die Aussagen der Opfer zu übersetzen und es der Polizei zu ermöglichen, die Frauen im Rahmen der Untersuchungsverfahren gegen die Händler zu vernehmen. Es sollten Forschungsstudien über Prostitution und Menschenhandel durchgeführt werden. Das gesetzliche Verbot von Werbung für sexuelle Dienstleistungen sollte besser durchgesetzt werden. Es sollten Maßnahmen gegen Clubs und andere Einrichtungen, in denen Prostitution stattfindet, ergriffen werden. Um die Gerichtsverfahren in Fällen von Menschenhandel zu beschleunigen, sollten die Verfahren vor Einzelrichtern (anstatt der gegenwärtigen drei Richtern) geführt werden.  Es soll Anwälten und Richtern bewusst gemacht werden, wie wichtig es ist, dass die Opfer Entschädigung erhalten. Es sollen Wege gefunden werden, die es erlauben, Entschädigung auch an Frauen zu zahlen, die sich nicht mehr in Israel aufhalten. Wie sporadische Zeitungsreportagen und die Veröffentlichungen von engagierten NGOs zeigen, sind die im Regierungsplan angesprochenen Fragen nur die Spitze eines riesigen Eisbergs.  Aber gerade deswegen macht der Regierungsplan deutlich, dass selbst ganz grundlegende Probleme immer noch nicht gelöst sind.

Zur gleichen Zeit als das Importgeschäft weitgehend zum Stillstand kam (2007), gab es die ersten ernsten Anzeichen eines wachsenden Exports. Im März 2007 befasste sich der Unterausschuss der Knesset zum Frauenhandel, unter der Leitung von Zahava Gal-On (Meretz), mit dem Thema. Hauptgegenstand der Debatte war allerdings lediglich die Frage, ob es sich um einen Trend handelt oder um Einzelfälle, wie die Polizei zu dem Zeitpunkt argumentierte. Ausgangspunkt der Debatte war eine Anzeige von der Hotline von neun Fällen, in denen die Vermutung besteht, dass versucht wurde, Frauen aus Israel für Prostitutionszwecke ins Ausland (Irland, England, Kroatien, Griechenland, Singapur, Japan und Tailand) zu schicken. Voluntäre der Hotline hatten die Telefonnummern angerufen, die in Zeitungsanzeigen angegeben wurden, die eine einträgliche Arbeit für junge Frauen im Ausland versprechen. In den Telefongesprächen wurden ihnen Einnahmen von 60-80,000 US$ versprochen und auch angeboten mit Frauen, die bereits im Ausland als Prostituierte arbeiten zu sprechen.

In ihrer Stellungnahme in dem Unterausschuss brachte die Polizei eine Reihe von Argumenten vor, die belegen sollten, dass es sich um eine Randerscheinung handelt, gegen die sich wenig machen lässt. So wurde gesagt, dass es sich um relativ wenige Fälle handelt, insbesondere im Vergleich zu den Tausenden von Frauen, die während des Höhepunkts des Imports jährlich nach Israel verschleppt wurden. Darüber hinaus seien die Strafen für verurteilte Händler so gering, dass sie nicht abschrecken. Auch seien bisher noch keine Fälle aufgedeckt worden, in denen israelische Frauen „verkauft“ wurden. Es ließ sich bis dahin nur feststellen, dass ihnen ihre Pässe und die Hälfte ihrer Einnahmen abgenommen und sie verbal misshandelt wurden. Auch sei die Strafverfolgung deshalb unmöglich, weil die „Empfängerstaaten“ (insbesondere Commonweath Staaten und Großbritannien) die Zusammenarbeit mit der Begründung verweigern, dass es sich dabei nicht um Menschenhandel handelt, da die Frauen freiwillig einreisen.

Die Einschätzung der Polizei hat sich mittlerweile allerdings geändert. Als im Mai 2008 Mitglieder einer Organisation verhaftet wurden, die Frauen aus Israel nach England zu Prostitutionszwecken brachten, wurde bereits von einem offensichtlich wachsenden Trend gesprochen.  Angesichts der Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftkrise auf die israelische Gesellschaft ist es durchaus vorstellbar, dass die Versprechen relativ großer Einnahmen auch weiterhin, und möglicherweise zunehmend Frauen in Israel in den Exportmenschenhandel locken und das obwohl – jedenfalls in den bisher aufgedeckten Fällen – die Frauen im voraus wissen, dass es sich bei der fraglichen Arbeit um Prostitution handelt. Sie werden in bezug auf die Arbeitsbedingungen (wie zum Beispiel die Wegnahme ihrer Pässe und der Hälfte ihrer Einnahmen) betrogen. Im Gegensatz dazu werden Frauen, die nach Israel gebracht werden sollen, oft mit dem Versprechen von Arbeit in anderen Bereichen (Kellner, Betreuung von Kindern und/oder behinderten oder alten Menschen, Reinigungspersonal) angelockt. Die Existenz des Phänomens der Arbeitsmigranten in Israel, das ebenfalls relativ große Ausmaße hat (nach offiziellen Schätzungen gibt es gegenwärtig ca. 300.000 illegale Arbeitsmigranten in Israel) und weitgehend ungeordnet ist (die staatlichen Maßnahmen konzentrieren sich auf sporadische Abschiebungswellen) begünstig die Möglichkeit der Täuschung. Eine effektive Bekämpfung des Menschenhandels müsste deswegen auch den Menschenhandel für andere Zwecke als Prostitution einschließen. Angesichts der bisherigen Engagements der israelischen offiziellen Stellen in der Angelegenheit besteht wohl wenig Hoffnung, dass in absehbarer Zeit eine grundlegende Verbesserung erwartet werden kann.

30. April 2009