Benjamin Netanjahu vor 5. Amtszeit: Das rechtsreligiöse Lager gewinnt die Parlamentswahlen 2019

Die Wahlen am 9. April 2019 waren ein Referendum über die Person Netanjahu. Nach 10 Jahren an der Macht und trotz der Entscheidung des Generalstaatsanwalts vorbehaltlich einer Anhörung Anklage gegen Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Veruntreuung und Betrug zu erheben, ging Netanjahu aus den Wahlen siegreich und gestärkt hervor.

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Netanyahu gewinnt die Wahlen 2019

Die Wahlen am 9. April 2019 waren ein Referendum über die Person Netanjahu. Nach 10 Jahren an der Macht und trotz der Entscheidung des Generalstaatsanwalts vorbehaltlich einer Anhörung Anklage gegen Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Veruntreuung und Betrug zu erheben, ging Netanjahu aus den Wahlen siegreich und gestärkt hervor. Seine Kampagne basierend auf Ethnonationalismus, Kritik an zentralen Institutionen der liberalen Demokratie und der Absage an eine Zwei-Staaten-Regelung war erfolgreich. Der Likud konnte – auch zu Lasten von Parteien der radikalen Rechten – zulegen und ist mit 35 Mandaten knapp die stärkste Kraft im israelischen Parlament, der Knesset, geworden. Mit diesem Erfolg hat der israelische Ministerpräsident auch seine parteiinternen Kritiker zum Verstummen gebracht, die sich bereits für seine Nachfolge in Stellung gebracht hatten. Dem oppositionellen Bündnis Blau-Weiß („Kachol-Lavan“) um den Herausforderer Benny Gantz ist mit ebenfalls 35 Sitzen zwar ein Achtungserfolg gelungen, ein Erfolg, der jedoch vor allem zu Lasten der Parteien der linken Mitte ging und daher den Wahlsieg des rechtsreligiösen Blocks nicht gefährdete. Diese Wahlen haben einmal mehr gezeigt, dass die israelische Rechte derzeit eine strukturelle Mehrheit besitzt, die zionistische Linke hingegen wird im kommenden Parlament weitgehend marginalisiert sein – Meretz und die Arbeitspartei („Awoda“) kommen auf zusammen nur noch 10 Sitze.

Gründe für die Wahl Netanjahus

Benjamin Netanjahu hat im Wahlkampf mit einer Erfolgsbilanz seiner inzwischen zehnjährigen Amtszeit seit 2009 geworben: Erstens habe er trotz eines schwierigen regionalen Umfelds Sicherheit und Stabilität gebracht. So habe Israel in der Dekade seiner Amtszeit keine zwischenstaatlichen Kriege geführt, den Konflikt mit den Palästinensern erfolgreich gemanagt und an der nördlichen Front auch mit militärischen Mitteln Israels Sicherheit verteidigt. Das Thema der Besatzung ist weitestgehend aus dem Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit verschwunden, da die Opferzahlen deutlich gesunken sind. Zweitens wirbt Netanjahu mit der ökonomischen Erfolgsgeschichte Israels als Start up-Nation. In der Tat kann der israelische Ministerpräsident auf gute makroökonomische Daten verweisen. Das Wachstum des BIP lag in der letzten Dekade über dem OECD-Durchschnitt, die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig und das Mindesteinkommen in der letzten Legislaturperiode deutlich erhöht worden. Und drittens verweist Netanjahu auf die wachsende internationale Legitimität Israels in der Welt. Die Anerkennung der israelischen Annexion der Golanhöhen war ein Wahlgeschenk des amerikanischen Präsidenten Trump, der die engen Beziehungen zwischen Netanjahu und Trump ein weiteres Mal belegte und wie die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem vom israelischen Ministerpräsidenten im Wahlkampf weidlich genutzt wurde. Zugleich hebt Netanjahu die Verbesserung der Beziehungen zu Russland, Brasilien und Indien hervor - Staaten, die historisch eher auf Seiten der Palästinenser verortet waren. Vor allem aber die Annäherung an arabische Staaten wie Saudi-Arabien und die Golfstaaten feierte Netanjahu als eine historische Errungenschaft. Mit dieser Entwicklung verliert in der israelischen Öffentlichkeit das Argument an Plausibilität, dass Israel nur durch eine Friedensregelung an internationaler Legitimität gewinnen werde.

Viele Wählerinnen und Wähler in Israel haben der Regierung Netanjahu daher durchaus gute Noten erteilt, 53% der israelischen Bürgerinnen und Bürger sind in einer Umfrage des Israel Democracy Institutes der Auffassung, dass die Gesamtsituation Israels gut oder sehr gut ist.[i] Dennoch hätte die von Netanjahu vorgelegte Erfolgsbilanz von der politischen Konkurrenz durchaus herausgefordert werden können: So schwelt der israelisch-palästinensische Konflikt weiter. Das damit verbundene Eskalationspotential zeigte sich auch während des Wahlkampfes, als die Hamas mit Raketenangriffen unter anderem auf Tel Aviv eine neue Verhandlungsrunde und Zugeständnisse von Israel erzwang. Netanjahu konnte auch in diesem Fall keine konkreten Pläne zur Lösung des Konflikts vorlegen und wurde dafür nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch von der Öffentlichkeit scharf kritisiert. 74% der Bevölkerung sind laut einer Umfrage der israelischen Zeitung Haaretz mit der Gazapolitik der Regierung und der Reaktion auf die Raketenangriffe unzufrieden.[ii] Auch ökonomisch ist die Situation Israels keineswegs so rosig, wie von Netanjahu dargestellt: Die Wachstumsrate des BIP pro Kopf hat sich deutlich verlangsamt und liegt unter dem OECD-Durchschnitt, die Armutsrate ist nach wie vor hoch und die Mittelschicht schrumpft. Die geringen Staatsausgaben verhindern zudem dringend notwendige Investitionen, etwa in den Gesundheitsbereich oder in den Wohnungsbau. Während des Wahlkampfes ist zudem der Verkehrspolitik angesichts verstopfter Straßen und eines Kollapses des öffentlichen Nahverkehrs in einem Bericht des State Comptroller ein verheerendes Zeugnis ausgestellt worden, ohne dass dies jedoch eine breite öffentliche Debatte ausgelöst hätte. All diese möglichen Ansatzpunkte, um eine grundlegende Alternative zur Politik der Netanjahu-Regierung zu präsentieren, sind von den Oppositionsparteien entweder nicht aufgegriffen oder nicht effektiv genutzt worden.

Dem oppositionelle Bündnis Blau-Weiß ging es im Wahlkampf mehr um politischen Stil und die Einheit des Volkes, denn um politische Substanz. Angesichts der wachsenden Polarisierung präsentierte sich Benny Gantz als staatstragende Alternative mit dem Ziel, die polarisierte Gesellschaft zu vereinen, dem Allgemeinwohl wieder Geltung zu verschaffen und die Korruption zu beseitigen. Die Wahlkampagne konzentrierte sich auf das eine zentrale Ziel: den Sturz Netanjahus. Dies war sicherlich auch den disparaten Ansichten innerhalb des Bündnisses geschuldet, das Benny Gantzs neu gegründete Partei Widerstandskraft für Israel („Chosen LeIsrael“) mit Es gibt eine Zukunft („Jesch Atid“) unter dem Vorsitzenden Jair Lapid und der Partei Telem des ehemaligen Verteidigungsministers Moshe Jaalon sowie dem ehemaligen Generalstabschef Gabi Aschkenasi geschlossen hatte. Doch allein das Vertrauen auf den Appeal und die sicherheitspolitische Kompetenz dreier ehemaliger Generalstabschefs erwies sich als zu wenig, zumal Benjamin Netanjahu die Glaubwürdigkeit von Benny Gantz durch schmutzige Kampagnen (etwa um angebliche Sexvideos) wiederholt in Frage stellte. Auch die Arbeitspartei führte einen Wahlkampf, dessen zentrale Aussage es war, einer Netanjahu-Regierung nicht beitreten zu wollen. Allein Meretz hat sich weiterhin klar zu einer Zwei-Staaten-Regelung und den Werten einer progressiven Linken bekannt, obwohl dieser Begriff im israelischen Diskurs von der Rechten stark delegitimiert worden ist. Angesichts dieses diskursiven Umfeldes und der Konzentration auf die Frage nach der Zukunft Netanjahus konnte Meretz damit aber kaum Resonanz erzeugt.

Wegweisende Wahl

Dieses Versagen, eine klare Alternative entwickelt und präsentiert zu haben, ist auch deshalb fatal, da der populistische und schmutzige Wahlkampf nicht verdecken darf, dass drei wegweisende Themen zur Wahl standen. Erstens ging es um die Zukunft der Demokratie in Israel. Das rechtsreligiöse Lager teilt die Spielregeln der liberalen Demokratie nicht oder im Falle des Likud nicht mehr, sondern betreibt den Umbau der israelischen Demokratie zu einer majoritären oder illiberalen Demokratie. Insbesondere die Prinzipien der Gewaltenkontrolle, des Minderheitenschutzes und der Individualrechte sind in der letzten Legislaturperiode durch verschiedene legislative Initiativen geschwächt und herausgefordert worden. Dazu zählt beispielsweise das Nationalstaatsgesetz, welches laut Aussagen von Regierungsvertretern sicherstellen soll, dass jüdische Kollektivrechte Vorrang vor individuellen Menschenrechten besitzen.  Zudem ist der Oberste Gerichtshof, der als Verteidiger der liberalen Demokratie angesehen wird, zu einem Hauptgegner der israelischen Rechten geworden. Nur der Widerstand der Partei Kulanu unter Führung des Finanzministers Mosche Kachlon hat in der letzten Legislaturperiode verhindern können, dass die sogenannte Überstimmungsklausel („Piskat HaHitbagrut“) verabschiedet wurde, die es dem Parlament erlaubt hätte, Urteile des Obersten Gerichtshofes zu überstimmen. Allerdings hat Kachlon, dessen Partei eine deutliche Wahlniederlage erlitten hat und nur knapp wieder in die Knesset eingezogen ist, schon angekündigt, seinen Widerstand gegen eine entsprechende neue Initiative aufzugeben. Obwohl Umfragen zeigen, dass auch Teile der moderaten Rechten die Erosion demokratischer Normen mit Sorge betrachten, hat Blau-Weiß die Verteidigung der Demokratie nicht zu einem zentralen Wahlkampfthema gemacht. In der Kampagne ging es vor allem um die Korruption der Person Netanjahu, ohne jedoch die Implikationen für Demokratie und eine demokratische politische Kultur zu entfalten.

Zweitens setzte Netanjahu auf eine Kampagne der Delegitimierung und Hetze gegen palästinensisch-arabische Israelis. Bereits im Wahlkampf 2015 hatte Netanjahu in einem Manöver am Wahltag davor gewarnt, „die Araber“ kämen „in Scharen“ zu den Wahlurnen und damit seine Anhängerinnen und Anhänger mobilisiert. Und auch in diesem Wahlkampf setzte Netanjahu wiederholt auf das antiarabische Ressentiment, warf den arabischen Parteien fälschlicherweise vor, Terrorismus zu unterstützen und Israel zerstören zu wollen. Der zentrale Slogan der Likud-Kampagne „Bibi oder Tibi“ insinuiert, dass der Herausforderer Benny Gantz eine Koalition mit der Ta‘al-Partei unter dem Vorsitzenden Ahmad Tibi plane und damit die Gefahr bestehe, dass die „Feinde Israels“ an die Macht kommen könnten. Zugleich zeigt der Erfolg des Slogans auch, dass im hegemonialen Diskurs von „jüdischen Parteien“ erwartet wird, dass sie eine Zusammenarbeit mit arabischen Parteien ausschließen. Andernfalls wird ihnen Illoyalität und fehlender Patriotismus vorgeworfen. Benny Gantz jedenfalls hat ganz entsprechend dieser dominanten Diskurslogik den Vorwurf Netanjahus nicht zurückgewiesen und die Rechte der palästinensischen Staatsbürgerinnen und –bürger auf politische Teilhabe verteidigt, sondern eine Koalition mit arabischen Parteien ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass trotz aller ökonomischen Förderprogramme, die die Regierung Netanjahu für arabische Kommunen aufgelegt hat, das Nationalstaatsgesetz der arabischen Minderheit noch einmal deutlich gezeigt hat, dass sie weiterhin vom israelischen Nationalstaatsprojekt ausgeschlossen bleiben. In einer Kontroverse mit einer Journalistin hat Benjamin Netanjahu unmissverständlich klargestellt, dass Israel nicht der Staat aller seiner Bürger, sondern der Nationalstaat des jüdischen Volkes und des jüdischen Volkes alleine sei. Auch am Wahltag setzte der Likud seine Einschüchterungskampagne fort und versteckte 1200 Kameras in arabischen Wahllokalen. Angesichts dieser Entwicklungen ist die Wahlbeteiligung der arabisch-palästinensischen Israelis von 64% auf etwa 50% gesunken und hat damit zur Schwächung des links-zentristischen Blocks beigetragen.

Drittens ging es auch um die Zukunft der besetzten Gebiete. Zu Ende des Wahlkampfes hatte Netanjahu mit der Ankündigung, israelische Souveränität graduell auch auf das besetzte Westjordanland und auf alle dort bestehenden israelischen Siedlungen ausdehnen zu wollen, noch einmal um die Stimmen der Rechten geworden. Die Politik der Regierung Netanjahu folgte in den letzten vier Jahren bereits diesem nun offen benannten Ziel – des Ausbaus der Siedlungen, der dauerhaften Kontrolle des Westjordanlandes und damit der Verhinderung eines palästinensischen Staates. Das Zentralkomitee des Likud hatte sich bereits 2017 für die Annexion zumindest von Teilen der besetzten Gebiete ausgesprochen und auch Netanjahu hat nun seine diplomatische Zurückhaltung und das Lippenbekenntnis zur Zwei-Staaten-Regelung aufgegeben. Das Ziel der Annektierung wird insbesondere auch von der Union der rechten Parteien („Ichud Miflagot Hajamin“) gefordert, die ihre Anhängerschaft im nationalreligiösen Milieu sowie unter den Siedlerinnen und Siedlern hat. Sie wollen das Zeitfenster der Präsidentschaft Trumps nutzen, um eine Annektierung durchzusetzen. Bezalel Smotrich von der Union der rechten Parteien hat bereits einen Deal ins Spiel gebracht – im Gegenzug zur Annektierung von Teilen der besetzten Gebiete verabschiedet die Knesset ein Gesetz, das Benjamin Netanjahu als Ministerpräsidenten Immunität gewähren wird. Blau-Weiß hingegen hat auch in Sicherheitsfragen kein konsistentes Gegenprogramm entwickelt. In Bezug auf die Politik gegenüber Syrien und Iran hatte Benny Gantz gar wiederholt die Politik Netanjahus gelobt und eine Fortsetzung dieser Politik angekündigt. Obwohl an der Spitze von Blau-Weiß drei ehemalige Generalstabschefs antraten, warf Netanjahu der Partei vor, links zu sein und suggerierte damit, dass Blau-Weiß bereit sei, gegenüber den Palästinensern gefährliche Zugeständnisse zu machen. Gantz konterte mit Videos, in denen er militärische Härte demonstrierte und sich damit rühmte, Terroristen durch gezielte Tötungen ausgeschaltet und Teile Gazas „zurück in die Steinzeit“ bombardiert zu haben. Die nur vage formulierte Hoffnung auf Frieden hingegen blieb völlig losgelöst von konkreten politischen Ideen. Mehr als das Bewahren des Status Quo ist von Blau-Weiß nicht angeboten worden.

Wahlergebnis

Benjamin Netanjahus Likud hat die Wahlen knapp als stärkste Kraft gewonnen und wird aller Voraussicht nach auch künftig an der Spitze einer rechtsreligiösen Regierungskoalition stehen. Dennoch haben die Wahlen die politische Landschaft verändert.

Zum ersten Mal seit den Wahlen 1996 haben die beiden größten Parteien zusammen eine Mehrheit im israelischen Parlament. Die israelische Politik war lange Zeit durch die Konkurrenz zwischen der Arbeitspartei und dem Likud gekennzeichnet. Insbesondere die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten in den 1990er Jahren hat den Prozess der Fragmentierung des politischen Systems beschleunigt – auf Kosten des Likud und der Arbeitspartei. Dem Likud ist seitdem ein Comeback gelungen, die Arbeitspartei steht nach diesen Wahlen mit nur 6 Mandaten vor einem Scherbenhaufen. Sie hat massiv Wählerinnen und Wähler an Blau-Weiß verloren. Diese Zugewinne der beiden großen Parteien sind auch durch die Konzentration auf die Frage nach der Zukunft Netanjahus und das strategische Wahlverhalten von Wählerinnen und Wählern zu Lasten kleinerer Parteien zurückzuführen. Zugleich steht die größte Oppositionspartei nun deutlich weiter rechts als noch nach den Wahlen 2015 die Zionistische Union (das Bündnis von Arbeitspartei mit Tzipi Livnis Kadima). Ob Blau-Weiß sich jedoch auf Dauer als starke Oppositionskraft etablieren kann, bleibt abzuwarten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass neu gegründete zentristische Parteien nach Wahlniederlagen an Zustimmung verlieren oder zerfallen. Dieses droht auch Blau-Weiß, das vor allem durch das gemeinsame Ziel des Sturzes von Netanjahu zusammengehalten worden ist.

War der Wahlsieg von Netanjahu zu erwarten, so ist das Scheitern der Partei Die Neue Rechte („Hajamin Hechadasch“) der Minister Naftali Bennett und Ajelet Schaked eine Überraschung. Die Neue Rechte ist eine Abspaltung des Jüdischen Heims („HaBajit haJehudi“) und erstmals bei Wahlen angetreten. Die beiden durchaus populären Minister Bennett (Bildung) und Schaked (Justiz) wollten sich mit der neuen Partei von der Dominanz der rabbinischen Führung innerhalb des nationalreligiösen Lagers befreien und zugleich ihre Basis um säkulare Wählerinnen und Wähler verbreitern. Beide hofften darauf, mit einem gestärkten Mandat ihre politische Agenda umsetzen zu können – Ajelet Schaked steht an der Spitze der Angriffe auf den Obersten Gerichtshof, Bennett wollte Verteidigungsminister werden. In ihrem zentralen Wahlslogan formulieren sie ihre Zielsetzung sehr deutlich: „Schaked wird den Obersten Gerichtshof besiegen, Bennett wird die Hamas besiegen“. Dieses Kalkül ist jedoch nicht aufgegangen. Viele Wählerinnen und Wähler aus dem nationalreligiösen Lager haben die Hybris von Bennett und Schaked abgelehnt und sind dem Jüdischen Heim treu geblieben. Zudem hat Netanjahu mit seiner Ankündigung der Annektierung der besetzen Gebiete und der Fokussierung um die stärkste Kraft mit Gantz, der Neuen Rechten auf den letzten Metern Wählerstimmen abgejagt. Dies zeigt sich etwa am Wahlergebnis der Siedlerinnen und Siedler. Auch dort ist der Likud mit 23% der Stimmen stärkste Partei geworden, die Neue Rechte landete hinter dem Vereinigten Thora Judentum („Jahadut HaTorah HaMeuchedet“) und der Union Rechter Parteien nur auf Platz 4 mit 10,6% der Stimmen. Dennoch wird die Agenda von Bennett und Schaked auch weiterhin in der Knesset vertreten sein – Bezalel Smotrich von der Union rechter Parteien und Yariv Levin vom Likud haben bereits ihr Interesse am Amt des Justizministers bekundet und werden die Beschneidung der Kompetenzen des Obersten Gerichtshofes fortsetzen. Zugleich bleibt Netanjahu auf die Parteien der Rechten angewiesen, um eine Regierungskoalition zu bilden. Um möglichst wenig Wählerstimmen durch das Scheitern von Parteien an der 3,25% Hürde zu verhindern, hatte Netanjahu massiven Druck ausgeübt, damit das Jüdische Heim zusammen mit Tkuma und Otzma Jehudit ein Wahlbündnis eingeht. Insbesondere der Einschluss der rechtsextremen Otzma Jehudit, die in der Nachfolge der verbotenen rassistischen Kach-Partei steht, zeigt, dass Netanjahu bereit war, alle roten Linien zu überqueren, um an der Macht zu bleiben. Der Ministerpräsident bot dem Bündnis gar zwei Kabinettsposten sowie einen Listenplatz beim Likud an. Der Oberste Gerichtshof schloss den Kandidaten Michael Ben-Ari zwar wegen Rassismus von den Wahlen aus, dennoch hat dieses Wahlkampfmanöver Netanjahus zu einer Legitimierung und Stärkung rechtsextremer Parteien und Positionen beigetragen. Netanjahu wird nun bei der Regierungsbildung einen hohen Preis zahlen müssen. Die israelische Rechte jedenfalls hat klare Ziele: Annektierung von zumindest Teilen des Westjordanlandes und die Stärkung der jüdischen Identität des Staates zu Lasten demokratischer und liberaler Institutionen, Werte und Verfahren. Und auch die ultra-orthodoxen Parteien werden jegliche Veränderungen hinsichtlich des Verhältnisses von Politik und Religion verhindern.

Die Linke hingegen ist weitestgehend marginalisiert. Der Niedergang der Arbeitspartei setzt sich fort, die Partei hat ihre Machtbasis in Gewerkschaften und der Kibbutzbewegung schon lange verloren und trotz einer durchaus ansprechenden und heterogenen Liste ihr Image als Partei der alten Eliten nicht ablegen können. Hinzu kommen strategische Fehler des Vorsitzenden Avi Gabbay, der die Arbeitspartei zunächst weiter rechts positionieren wollte und nach dem Scheitern dieser Strategie einen Linksschwenk vollzog. Auch Meretz hat die 3,25% Hürde nur knapp geschafft und die Mindestanzahl von 4 Mandaten errungen. Sie hat sich zwar klar zu den eigenen Werten und Positionen bekannt, aber kaum Wählerinnen und Wähler mobilisieren können. Interessante Entwicklungen zeigen sich jedoch auf arabischer Seite. Die Vereinigte Liste war vor den Wahlen zerfallen, stattdessen sind zwei Wahlbündnisse angetreten: Chadasch-Taal und Raam-Balad. Neben internen Streitigkeiten bestand ein Grund für das Auseinanderbrechen des Bündnisses darin, dass Chadasch und Taal sich eine stärkere Beteiligung in der israelischen Politik vorstellen können, etwa indem sie dem israelischen Präsidenten einen Kandidaten für die Bildung einer Regierungskoalition vorschlagen. So wäre Ayman Odeh von Chadasch unter bestimmten Bedingungen bereit gewesen, Gantz zu empfehlen. Nach der kühlen Zurückweisung von Gantz waren diese Gedankenspiele allerdings hinfällig. Der Wunsch nach stärkerer Teilhabe zeigt jedoch das Potential für eine neue jüdisch-arabische Linke an, die Demokratie und Gleichheit als zentrale Werte in den Mittelpunkt stellt. Ein solches Bündnis muss allerdings langfristig und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft vorbereitet werden; die Zeit in der Opposition sollte dazu genutzt werden.