Die israelische Regierung beschloss, im Laufe dieses Sommers die Zahl der Arbeitsmigranten drastisch zu reduzieren. Die Kampagne wird als Maßnahme gegen die wachsende Arbeitslosigkeit im Zuge der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise gerechtfertigt. Zu diesem Zweck wurde eine neue, 200-köpfige Einheit, Oz aufgestellt, die der Behörde für Bevölkerungs- und Immigrationsangelegenheiten des Innenministeriums untersteht.
In einer früheren großen Kampagne gegen Arbeitsmigranten wurde bereits 2003 eine Sondereinheit mit der Aufgabe eingerichtet, illegale Arbeitsmigranten einzufangen. Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin erhielt Oz weitreichendere polizeiliche Kompetenzen. Seit dem 1. Juli 2009 begibt sich die Oz Einheit auf Menschenjagd insbesondere in der Umgebung der Tel Aviver zentralen Busstation, eine seit vielen Jahrzehnten vernachlässigte Gegend der Stadt, in der relativ günstig, meist menschenunwürdige Unterkünfte gemietet werden können. Dort lebt eine große Zahl von Arbeitsmigranten und Asylsuchenden. Die Oz Einheit trat bereits nach den ersten drei Wochen mit Erfolgsmeldungen (in Form von beindruckenden Zahlen von eingefangenen und verhafteten Ausländern) vor die Presse. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass lediglich knapp 20 Prozent der Verhafteten im eigentlichen Sinne illegale Arbeitsmigranten sind, d.h. Menschen, die entweder mit einem Touristenvisum eingereist sind und in Israel arbeiten, oder illegal über die ägyptische Grenze geschmuggelt wurden.
Diese Maßnahmen werden mit dem Ausmaß des Problems gerechtfertigt. Nach offizieller Schätzung halten sich ca. 300.000 illegale Arbeitsmigranten in Israel auf, von denen möglichst 200.000 in der gegenwärtigen Kampagne abgeschoben werden sollen. Allerdings stellen israelische Menschenrechtsorganisationen, insbesondere auch die Hotline für Arbeitsmigranten, die offiziellen Schätzungen in Frage. Nach Einschätzung der Hotline beträgt die Zahl der Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr als 100.000 Menschen. Diese Schätzung kann sich auch auf die Angaben des israelischen Zentralbüros für Statistik stützen, wonach sich am Jahresende 2008 97.000 Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung in Israel aufhielten.
Die Kritik von Hotline, wie auch anderen Menschenrechtsorganisationen, richtet sich jedoch hauptsächlich auf die ergriffenen Maßnahmen. Die Hotline unterscheidet in ihrem Informationsblatt zu der Frage zwischen drei Hauptgruppen, die von diesen Maßnahmen unmittelbar bedroht sind:
(1) Kinder von Migranten, die meist in Israel geboren wurden, im Land aufgewachsen sind, Hebräisch sprechen und nun in ein ihnen völlig fremdes Land abgeschoben werden sollen. Nach Schätzung von Hotline handelt es dabei um ca. 1.100 Kinder, von denen 500 älter als 6 Jahre sind. Andere Schätzungen, u.a. das Forschungs- und Informationszentrum der Knesset, sprechen von ca. 2.800 Kindern, wobei sie allerdings auch die Kinder von Asylsuchenden mit einschließen. Die Eltern, oder jedenfalls die Mütter solcher Kinder sind immer „illegal.“ Es ist verboten, Kinder mit ins Land zu bringen; und eine Arbeitsmigrantin verliert ihre Aufenthaltsgenehmigung mit der Geburt ihres Kindes und muss innerhalb von drei Monaten das Land verlassen. Angesichts der vielfach geäußerten Kritik an der geplanten Abschiebung von Kindern, u.a. auch von Staatspräsident Shimon Peres, verteidigte das Innenministerium seine Maßnahme damit, dass es die Kinder nicht von den Eltern trennen kann und sie mithin zusammen mit den Eltern abschieben muss.
Der Hotline-Bericht verweist auf die Regierungsentscheidung von 2006, die in einer einmaligen Maßnahme Kindern von Arbeitsmigranten im Alter von 4 bis 9 Jahren, die Hebräisch sprechen und die Schule besuchen, eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erteilte. Auch ihre Eltern erhielten eine solche Genehmigung, sofern sie legal eingereist waren. Eine ähnliche Forderung wurde auch von Eitan Cabel (Knesset-Abgeordneter der Arbeitspartei) erhoben. In letzter Minute beschloss die Regierung am 30. Juli, den Beginn der Festnahme und Abschiebung der Kinder, die am 1. August anfangen sollten, für drei Monate aufzuschieben. Diese Entscheidung löst da Problem jedoch nicht.
(2) Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, von denen viele mit offizieller Arbeitsgenehmigung eingereist sind. Arbeitsgenehmigungen (und mithin Aufenthaltsgenehmigungen) werden für bestimmte Zeiträume erteilt. Allerdings sind sie an einen konkreten Arbeitgeber gebunden – eine Praxis, die 2006 vom Obersten Gericht als „moderne Sklaverei“ bezeichnet wurde. Sie sollte beendet werden, besteht aber weiterhin. Wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des genehmigten Zeitraums beendet wird (z. B. für Menschen, die in der Altenpflege arbeiten, durch den Tod des Arbeitgebers), verliert die betroffene Person die Aufenthaltsgenehmigung und müsste sofort ausreisen. Dies geschieht oft nicht, meist aus finanziellen Gründen. Die meisten Arbeitsmigranten kommen, um Arbeit zu finden, die es ihnen erlaubt, ihre Unkosten zu decken und Geld an ihre Familien zu Hause zu schicken. Die Unkosten bestehen nicht nur aus dem, was sie für ihren Lebensunterhalt in Israel brauchen, sondern auch aus den Reisekosten sowie in der Regel einer relativ hohen „Vermittlungsgebühr“ (es werden Summen von 8-10.000 US$ genannt), die sie zum Erhalt der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung an international arbeitende Arbeitsvermittlungsgesellschaften (oder Menschenschlepper) zahlen müssen. Das ist ein schwieriges Unterfangen angesichts der Tatsache, dass Arbeitsmigranten oft weniger als der gesetzlich festgelegte Mindestlohn gezahlt wird.
Das Hauptargument der Kritiker der Abschiebungskampagne richtet sich darauf, dass die israelische Regierung keine Schritte ergreift, um die Anzahl der Arbeitsmigranten zu verringern und somit Arbeitplätze für israelische Arbeiter zu schaffen. Die gegenwärtige Politik zielt darauf ab, bereits in Israel lebende Menschen auszuweisen, während gleichzeitig neue Arbeitsmigranten importiert werden. Das mag damit zu tun haben, dass sich die schon im Land lebenden Arbeitsmigranten besser auskennen und deshalb weniger gut ausbeutbar sind. Trotz zahlreicher entgegengesetzter politischer Erklärungen stieg die Zahl der neu erteilten Arbeitsgenehmigungen von Jahr zu Jahr. Dieser Anstieg erreichte 2009 mit 55.000 neuen Genehmigungen seinen bisherigen Höhepunkt. In der selben Woche, in der die Oz Einheit ihre Menschenfängerarbeit aufnahm, wurden 3.000 neue thailändische Arbeiter für die Landwirtschaft importiert. Gegenwärtig gibt es 93.000 Arbeitsgenehmigungen, davon 55.000 im Pflegebereich, 29.000 in der Landwirtschaft und 9.000 im Bauwesen. Es wäre also durchaus möglich, einen Großteil der „illegalen“ Arbeitsmigranten zu legalisieren, ohne dadurch die Arbeitschancen für israelische Arbeiter über das vorhandene Maß hinaus zu beeinträchtigen. Trotz aller Proteste wird jedoch an der Abschiebungspolitik festgehalten.
(3) Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen sich derzeit ca. 17.000 in Israel aufhalten. Ca. 7.000 Asylsuchende, von denen mehr als 550 Minderjährige sind, kommen aus Eritrea; und 6.000 Asylsuchende, von denen mehr als 600 Minderjährige sind, kommen aus dem Sudan. Ca. 1.500 der sudanesischen Asylsuchenden kommen aus Darfur. Die meisten Asylsuchenden (ca. 13.000) halten sich in Tel Aviv, Eilat und Arad auf, ca. 2.000 andere sind in Gefangenenlagern, vor allem in Ketziot, untergebracht. Im Gegensatz zu den beiden anderen Gruppen sind die Asylsuchenden gegenwärtig nicht von Abschiebung bedroht, aber mehr als die Hälfte derer, die die „Oz“ Einheit in den ersten Wochen ihrer Tätigkeit festnahm, waren Asylsuchende. Ihr Hauptproblem besteht darin, dass sie nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, weil die israelischen Behörden sich weigern, die Asylanträge von Menschen aus dem Sudan und Eritrea zu bearbeiten. Im Fall des Sudan wird die Weigerung damit begründet, dass es sich um feindliches Land handle. Im Fall von Eritrea wird argumentiert, die Frage sei nicht relevant, weil die Regierung beschlossen habe, Menschen aus Eritrea nicht abzuschieben. So bleibt für die meisten Asylsuchenden ihr Status ungeklärt. Die Hotline weist darauf hin, dass Israel seit 1951 lediglich ca. 170 Asylsuchende als Flüchtlinge im Sinne der UN-Statuten anerkannt hat.
Insbesondere aufgrund ihres ungeklärten Status haben Asylsuchende wenig Möglichkeiten, sich in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Sie sind oft weitgehend auf die Unterstützung von Hilfsorganisationen angewiesen, wie zum Beispiel die medizinische Versorgung durch die Physicians for Human Rights. Die meisten Hilfsorganisationen dieser Art befinden sich in Tel Aviv, wo auch die größten Chancen bestehen, legal oder illegal Arbeit zu finden, sowie passende Schulen für die Kinder. Somit ist es verständlich, dass viele Asylsuchende im Tel Aviver Raum leben wollen. Das Folgeproblem – viele obdachlose Asylsuchende in Tel Aviv – wurde nicht dadurch gelöst, dass die erforderlichen Hilfseinrichtungen geschaffen wurden. Statt dessen erlies das Innenministerium im Februar 2008 eine Verordnung, die es Asylsuchenden verbietet, sich im Zentrum des Landes („von Gedera bis Hadera“) aufzuhalten. Während die Verordnung zunächst aus Personalmangel weitgehend nur auf dem Papier stand, sollte die Oz Einheit sie ab Juli 2009 durchsetzen, d.h. Asylsuchende im Sperrgebiet einfangen und sie dann entweder inhaftieren oder an Orte außerhalb des Sperrgebiets bringen.
Angesichts vielfältiger Proteste beschloss Innenminister Eli Yishai Ende Juli, die Durchsetzung der Verordnung zu unterbinden. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Asylsuchenden eine zu große Belastung für die außerhalb des Zentrums gelegenen Kommunen seien, die ohnehin unter akutem Finanzmangel und sehr hoher Arbeitslosigkeit leiden.
Anfang Juni beschloss auch die Knesset (mit nur einer Gegenstimme vom Abgeordneten Dov Khenin) einen Gesetzesentwurf zur zweiten und dritten Lesung zuzulassen, der in der vorhergehenden Legislaturperiode, im Mai 2008, in der ersten Lesung angenommen wurde. Der Entwurf soll ein neues wirksames Gesetz gegen „Infiltration“ schaffen. Der Entwurf sieht vor, dass Menschen, die illegal nach Israel kommen (d.h. zumeist über die ägyptische Grenze), mit fünf Jahren Haft bestraft werden. Für Menschen, die aus einem „feindlichen Land“ (wie zum Beispiel Sudan) kommen, ist eine längere Haftstrafe vorgesehen. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen potentiellen Terroristen, Arbeitsmigranten und Asylsuchenden. Darüber hinaus droht jeder Person, die einem solchen „Infiltranten“ hilft, die gleiche Haftstrafe, wobei die gesetzlich unter Strafe gestellte Hilfeleistung sich nicht nur auf den Akt des „Eindringens“ beschränkt ist, sondern auch jegliche Hilfe im Laufe des Aufenthalts einschließt. Das Alternative Information Center stellt in seinem Kommentar dazu fest, dass der Gesetzesentwurf nicht nur die israelische Regierung von jeglicher humanitären Verantwortung gegenüber Asylsuchenden befreit, sondern auch diejenigen bestrafen will, die als Privatpersonen humanitäre Maßstäbe einhalten wollen. Ob das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.
Ursula Wokoeck
2. Sept. 2009
Sie finden den Text inklusive der Fußnoten in der PDF-Version