Wie in der Dezemberausgabe von Was bewegt Israel erwähnt wurde, stellte der von der israelischen Bürgerrechtsorganisation Association for Civil Rights in Israel (ACRI) Anfang Dezember veröffentlichte Menschenrechtsbericht für 2009 eine besorgniserregende Zunahme von Einschränkungen der Meinungsfreiheit und einen Trend zur Delegitimation von Menschenrechtsaktivist_innen fest. Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die der Regierungspolitik gegenüber kritisch sind, wird zunehmend systematisch eingeschränkt. Dabei kommt ein weites Spektrum von Repressionsmaßnahmen zum Einsatz.
Ein Beipiel für eine Art der Beschränkung der Tätigkeit von NGOs wurde in der Oktoberausgabe von Was bewegt Israel unter dem Titel „Zunehmende Behinderung der Arbeit der israelischen ‚Ärzte für Menschenrechte’ in der Westbank und dem Gazastreifen“ beschrieben. In eine ähnliche Kategorie fällt auch die Verordnung der Armee von Mitte März 2010, die bis August die Gebiete von Ni’lin und Bil’in (zwei in der Westbank gelegene palästinensische Orte in der Nähe von Modi’in) an Freitagen zu einer „geschlossenen militärischen Zone“ erklärt. In diesen beiden Orten finden jeden Freitag (in Bil’in seit 2005, und in Ni’lin seit 2008) Protestdemonstrationen gegen den Bau des Sicherheitszauns auf palästinensischem Boden statt. In den Protestaktionen arbeitet die betroffene palästinensische Bevölkerung mit israelischen Oppositionsgruppen und Mitgliedern des International Solidarity Movements (ISM – internationale Solidaritätsbewegung) zusammen. Die Stärke des Protests ist in dieser Zusammenarbeit begründet und darin, dass es der Koalition gelungen ist, den Protest auf wöchentlicher Basis über Jahre hinweg in meist gewaltloser Form aufrechtzuerhalten. Mit Verweis auf das nach Einschätzung der israelischen Sicherheitskräfte von den Demonstranten ausgehende Gewaltpotenzial verbietet die Militärverordnung nun an Freitagen, d.h. am Tag der wöchentlichen Demonstration, das Betreten der Gebiete. Somit werden die Protestaktionen illegal.
Eine andere Form der Repression sind Maßnahmen, die sich gegen die Mitglieder einzelner NGOs richten. Vor mehr als einem Jahr stand etwa die Organisation „New Profile“ (Ein neues Profil) in der Schusslinie. Der Name der Organisation nimmt bezug auf einen in der Armee üblichen Begriff. So werden Soldaten danach eingestuft, ob sie, zum Beispiel, in das Profil eines Mitglieds einer bestimmten Kampfeinheit passen. Diese Profile werden in der israelischen Gesellschaft als Idealtypen anerkannt. Demgegenüber setzt sich die Organisation für die Förderung eines alternativen Idealtyps, eines „neuen Profils“ für Mitglieder einer nicht-militaristischen Gesellschaft ein. Nach mehr als 10-jähriger öffentlicher Tätigkeit der Organsation wurde im September 2008 ein polizeiliches Untersuchungsverfahren wegen dem Verdacht der Förderung von Wehrkraftzersetzung gegen ihre Mitglieder eingeleitet. Ende April 2009 fanden Polizeirazzien auf Wohnungen von Mitgliedern statt, bei denen alle Computer (auch die von Mitbewohnern, einschliesslich Kindern) beschlagnahmt wurden. Nach einer langen öffentliche Kampagne wurde das Verfahren erst im November 2009 mangels Beweisen eingestellt.
Ein anderes Beispiel der Strafverfolgung von Aktivist_innen ist die Verhaftung von Abdallah Abu Rahmah. Der Lehrer aus Ramallah ist seit 2004 ein führendes Mitglied des palästinensischen gewaltlosen Widerstands gegen den Mauer- und die Siedlungsbau in Bil’in. Er wurde am 10. Dezember 2009 in Ramallah von israelischen Sicherheitskräften verhaftet, und einen Monat später ordnete das Militärgericht in Ofer Untersuchungshaft bis zum Ende des Verfahrens an. Es werden ihm Aufwiegelung, das Werfen von Steinen und illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Die Anschuldigung des illegalen Waffenbesitzes stützt sich darauf, dass er Tränengaskanister, die die israelische Armee auf Demonstranten in Bil’in geschossen hat, aufgesammelt und in einer Ausstellung, welche die Gewalttätigkeit der israelischen Sicherheitskräfte gegenüber den Demonstrant_innen dokumentiert, ausgestellt hat.
Verhaftungen und die Androhung von Strafverfahren kommen auch in den Repressionen gegenüber den Protesten gegen die Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem, insbesondere bei den wöchentlichen Demonstrationen im Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah, zum Einsatz. Im Rahmen der Proteste gegen die Zwangsräumungsverfügungen gegen palästinensische Bewohner wurden bisher etwa 100 Demonstrant_innen verhaftet. Die meisten davon wurden von den zuständigen Haftrichtern wieder entlassen, die das Vorgehen der Polizei kritisierten. Das verhindert aber weitere Verhaftungen nicht. So wurde am 26. März 2010 der 19-jährige Michael Solsberry, der bei seinen Eltern in Jerusalem wohnt, zuhause verhaftet. Er ist einer der Hauptaktivisten in den Protesten in Sheikh Jarrah. Am Freitagmittag nahm er an einer Demonstration vor dem umstrittenen Shepherd Hotel in Sheikh Jarrah teil. Von dort gingen die Demonstrant_innen weiter zu den in der Nähe gelegenen zwangsgeräumten Häusern, ohne dass die Polizei, die bislang den Demonstrant_innen den Zugang dorthin verweigert hatte, versuchte, sie daran zu hindern. Das war wohl die Grundlage für die Verhaftung am Freitagabend.
In leicht abgewandelter Form wird gegen ISM-Mitglieder vorgegangen. So wurde am 11. Januar 2010 Eva Nováková, die ISM-Medienkoordinatorin, in ihrer Wohnung in Ramallah von der israelischen „Oz-Einheit“ (Migrantenpolizei) verhaftet und aus Israel abgeschoben. Die Maßnahme wurde damit begründet, dass ihre israelische Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen sei. Anwalt Omer Schatz, der Nováková vertritt, legte Klage gegen die „illegale Entführung“ und Abschiebung beim israelischen Obersten Gericht ein, die er damit begründet, dass die Oz-Einheit, die dem israelischen Innenministerium untersteht, nicht ausserhalb des israelischen Staatsgebiets eingesetzt werden darf. Schatz erklärte, dass die Schritte gegen seine Mandantin Teil einer Kampagne seien, die die israelischen Behörden gegen den gewaltfreien Kampf gegen die Besatzung führen. In der Nacht bevor die Klage eingereicht wurde, wurden zwei weitere ISM-Mitglieder in einer nächtlichen Militäraktion in Ramallah verhaftet, wiederum mit der Begründung, es bestehe der Verdacht, dass ihre Aufenthaltsgenehmigungen abgelaufen seien. Die beiden Frauen, Ariadna Jove Marti, eine spanische Journalistin, und Bridgette Chappell, eine australische Studentin an der Bir Zeit Universität (bei Ramallah), wurden in das in der Westbank gelegene Ofer Militärgefängnis gebracht und dort der Oz-Einheit übergeben. In diesem Fall gelang es, die Abschiebung aufzuschieben, und die beiden Frauen wurden auf Kaution aus der Haft entlassen, allerdings mit der Auflage, dass sie die Westbank nicht betreten dürfen. Die Klage am Obersten Gericht war insofern erfolgreich, als die Verhaftungen für rechtswidrig erklärt wurden. Das Oberste Gericht entschied jedoch nicht in der Frage der Abschiebung; diese wird vor dem Bezirksgericht in Tel Aviv verhandelt.
Wie ein Vorfall vom 1. April 2010 (kein Aprilscherz) zeigt, sind nicht nur ISM-Mitglieder von solchen Abschiebungsmassnahmen betroffen. Von einer 7-köpfigen Delegation aus Schweden, die sich an einem Erziehungsprojekt für friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern beteiligten, wurden drei Mitglieder am Ben Gurion Flughafen nicht ins Land gelassen und nach vielen Stunden des Verhörs abgeschoben. Tigran Feiler, einer der vier anderen Mitglieder, durfte nur einreisen, nachdem er eine Kaution hinterlegt und sich schriftlich dazu verpflichtet hatte, die Westbank nicht zu betreten. Das Erziehungsprojekt ist eine Initiative der schwedischen Gruppe „Juden für israelisch-palästinensischen Frieden“ in Zusammenarbeit mit der palästinensichen Assoziation in Stockholm. Die Reise der Delegation wurde vom Olof Palme Gedächtnisfond finanziert. Nach Berichten der Organisation „Right to Entry“ (Recht auf Einreise) in Ramallah, wurde im Laufe des letzten Jahres einer zunehmenden Zahl von Menschen, die mit Palästinensern verwandt sind oder mit ihnen zusammen arbeiten oder gesellschaftliche Beziehungen pflegen, die Einreise nach Israel verweigert. Genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor.
Aktivist_innen werden nicht nur von offiziellen Stellen bedroht, sondern auch durch Initativen von rechtsextremen Kreisen. Die Angriffe aus dem rechten Lager reichen von Beschimpfungen bis zu Mordanschlägen. So wurde Professor Zeev Sternhell im September 2008 durch einen Bombenanschlag verletzt. Es wird angenommen, dass der Bombenanschlag die Tat eines Einzeltäters aus dem rechtsextremen Lager war, der über den Zeitraum von 12 Jahren eine Vielzahl von Anschlägen verübt hat.
Im Gegensatz dazu wurden Professorin Naomi Chazan und der New Israel Fund (NIF) Opfer einer breiten öffentlichen Hetzkampagne. NIF ist eine NGO, die seit 1979 Spenden im Ausland, vor allem in den USA und Großbritannien, sammelt. Mit diesen Geldern werden Projekte und Organisationen in Israel unterstützt, die sich für eine demokratische Veränderung einsetzen, um allen Bewohnern des Landes, ungeachtet ihrer Religion, Herkunft und ihres Geschlechts, gleiche soziale und politische Rechte zu gewährleisten. Seit Juni 2008 ist Professorin Naomi Chazan Präsidentin des NIF.
Die Kampagne wurde von der Organisation „Im Tirtzu“ („Wenn Ihr [es] wollt“ – eine Anspielung auf den berühmten Satz von Theodor Herzl in „Alt-Neuland“) initiiert, die sich selbst als „ausserparlamentarische Bewegung der politischen Mitte“ bezeichnet, die „sich darum bemüht die zionistischen Werte in Israel zu stärken und den zionistischen Diskurs, dessen Denken und Ideologie, zu erneuern und zu festigen.“ Sie will „eine zweite zionistische Revolution auf allen Ebenen des israelischen öffentlichen Diskurses anführen und fördern“. Die Selbstdarstellung als Bewegung der politischen Mitte wird allerdings von dem Ha’aretz-Journalisten Jonathan Lis in Frage gestellt, der, vor allem im Bezug auf den Vorsitzenden der Organisation, Ronen Shoval, dessen enge Beziehungen zu extrem-rechten Siedlerkreisen aufzeigt.
Der Angriff auf Na’omi Chazan und NIF begann mit einem Artikel in der hebräischen Tageszeitung Ma’ariv (5. Feb. 2010). Dort wurde erklärt, dass „Im Tirtzu“ herausgefunden habe, dass 92 Prozent der negativen Feststellungen des Goldstone Reports gegenüber der israelische Armee auf israelischen Quellen beruhen, die von Organisationen stammen, die vom NIF finanziert werden. Mit anderen Worten, NIF sei Schuld am Goldstone Report. Dem folgte eine breite öffentliche Kampagne, unter anderem mit zahlreichen Plakaten in Jerusalem und Tel Aviv, die Naomi Chazan mit einem Horn auf der Stirn und der Unterschrift „Naomi Goldstone Chazan“ zeigten. Auch die englische Jerusalem Post, für die Naomi Chazan seit Jahren eine wöchentliche Kolumne schrieb, hatte eine entsprechende Anzeige veröffentlicht. Frau Chazan hatte daraufhin eine Klage gegen die Zeitung eingereicht, was diese zum Anlaß nahm, um die Zusammenarbeit zu kündigen.
Die so geschaffene öffentliche Empörung zog weite Kreise. Vor allem aber brachte die Kampagne die Finanzierung der Menschenrechtsorganisationen in die Schusslinie. Der Knessetausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Justizfragen setzte gleich einen Unterausschuss ein, der die Finanzierung israelischer Organisationen durch ausländische Quellen untersuchen soll. In diesem Zusammenhang spielt auch der „NGO-Monitor“ eine zentrale Rolle. Seit Jahren setzt sich diese Organisation, unter der Leitung von Professor Gerald Steinberg von der Bar Ilan Universität, „für die Förderung einer kritischen Debatte und der Verantwortlichkeit der Menschenrechtsorganisationen im arabisch-israelischen Konflikt“ ein. Auf ihrer Internetseite erklärt die Organisation, dass „NGOs, die beträchtliche finanzielle Unterstützung von großzügigen Spendern, wohltätigen Einrichtungen und Regierungsbudgets erhalten, bislang selbst keiner unabhängigen und kritischen Untersuchung unterzogen wurden. Deshalb wurde NGO Monitor gegründet, um die Verantwortlichkeit [dieser NGOs] zu fördern, sowie eine intensive Debatte über die Berichte und Aktivitäten der humanitären NGOs im Rahmen des arabisch-israelischen Konfliktes zu führen“.
Die Idee, unliebsamen NGOs die Finanzbasis zu entziehen, ist nicht neu. Ein bekanntes Beispiel in 2009 waren die auch offiziellen Bemühungen, die ausländische Förderung der Gruppe „Breaking the Silence“ (das Schweigen brechen) zu unterbinden. Diese Gruppe wurde von israelischen Soldaten gegründet, die in Hebron eingesetzt waren. Nach Beendigung ihres Militärdienstes haben sie ihre Erfahrungen dokumentiert und veröffentlicht, um eine öffentliche Debatte anzuregen. Seitdem sammeln sie weiterhin Zeugenaussagen von Soldaten. Nach dem Angriff auf Gaza („Gegossenes Blei“) begannen sie auch Zeugenaussagen von Soldaten, die an der Operation teilgenommen haben, zu sammeln. Im Juli 2009 enthüllte ein Artikel in der Jerusalem Post, dass diese NGO, „die über israelische Kriegsverbrechen in Gaza berichtet“, von den britischen und niederländischen Botschaften, der EU und dem NIF finanziert wird. Dem folgten Berichte, dass sich die israelische Regierung darum bemüht, diese finanzielle Unterstützung zu unterbinden.
Auch wenn die Idee nicht neu ist, so nimmt sie jetzt viel ernstere Formen an. Die Initiative im Knessetunterausschuss richtet sich vor allem gegen europäische Gelder, deren Einsatz als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Israels angesehen werden. Am 8. Februar 2010 wurde von Zeev Elkin (Likud) zusammen mit anderen Knessetabgeordneten ein Gesetzesentwurf eingebracht, der sich unter der Überschrift der Transparenz gegen die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland für kritische NGOs richtet. Adalah, das Rechtshilfezentrum für die Rechte der arabischen Minderheit in Israel, hat eine nicht offizielle englische Übersetzung des Gesetzesentwurfs veröffentlicht; und ACRI hat ein Rechtsgutachten dazu angefertigt, das analysiert inwiefern ein solches Gesetz die Organisations- und Meinungsfreiheit beeinträchtigen kann. Aufgrund der Pessach-Pause wurde bisher über den Entwurf in der Knesset noch nicht weiter verhandelt.
Bei der gegenwärtigen öffentlichen Debatte geht es nicht um amerikanische Spendengelder, die in diesem Zusammenhang nicht erwähnt werden, und auch nicht um alle europäischen Gelder. Nach dem Bericht der „Europäischen Kommissionsdelegation in Israel“ stellte die EU im Jahr 2007 261 Millionen Euro für israelische Projekte zur Verfügung; wobei diese Summe nicht die direkten Zuschüsse aus Schweden, Norwegen, Großbritanien, der Reformierten Kirche der Niederlande und der Parteinenfinanzierung der deutschen politischen Stiftungen einschliesst. Die gegenwärtige Initiative richtet sich lediglich gegen den relativ kleinen Teil der Gelder (in 2007 ein halbes Prozent der EU Mittel), die Menschenrechtsorganisationen zufliessen. Für diese wäre der Entzug der finanziellen Unterstützung allerdings verheerend.
Ursula Wokoeck
2. April 2010
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