Alljährlich beginnt am 1. September das Schuljahr und fast ebenso regelmäßig treten Probleme des Bildungswesens ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Diese öffentliche Aufmerksamkeit wird nicht selten durch Streiks oder Streikandrohungen ausgelöst, deren „timing“ nicht zufällig ist. Am Anfang des Schuljahrs besteht immerhin die Hoffnung, die Öffentlichkeit, insbesondere die nach den langen Sommerferien entnervten Eltern, zu mobilisieren. Ein landesweiter Streik blieb dieses Jahr aus, und das Schuljahr begann an den meisten Schulen planmäßig. Zweifellos gibt es viele ernste Probleme im israelischen Bildungssystem, die auch zumindest zum Teil in den Medien aufgegriffen wurden. Allerdings hat das große öffentliche Interesse an einer Frage alle anderen ins Abseits gedrängt. Die Aufmerksamkeit galt der Weigerung von drei religiösen Privatschulen, die öffentliche Mittel erhalten, Kinder von aus Äthiopien eingewanderten Familien einzuschulen.
Bis Mitte August konnten in der Stadt Petah Tikva (östlich von Tel Aviv) für mehr als 100 Kinder von Familien, die aus Äthiopien eingewandert sind, keine Schulen gefunden werden, die bereit waren sie einzuschulen. Es wurde berichtet, dass drei ultra-orthodoxe bzw. national-orthodoxe Privatschulen sich weigerten, und dass auch die öffentlichen religiösen Schulen die Kinder nicht einschulen wollten. Zu den Privatschulen gehörte zum Beispiel die Darchei Noam Schule. Nach eigenen Angaben hat sie 600 Schüler, darunter 14 Kinder von aus Äthiopien stammenden Familien. Die Darchei Noam Schule wie auch die anderen Privatschulen erklärten, dass sie Kinder, die die Aufnahmeprüfung bestehen, einschulen – aber auch nur diese. Praktisch schließt dies die meisten der ihnen zugewiesenen Einwandererkinder aus. Während die Privatschulen auf ihren spezifischen Charakter und ihre hohen Standards verweisen, sahen engagierte kritische Beobachter, wie zum Beispiel die Organisation „Hakol Hinuch,“ die sich für eine Reform des öffentlichen Bildungssystems einsetzt, und die Vertreter der äthiopischen Gemeindeorganisationen in der Haltung der Privatschulen eine Politik der Diskriminierung gegenüber „äthiopisch-israelischen“ Kindern.
Diese Sicht wurde sicher auch dadurch bestärkt, dass generell die Diskriminierung gegenüber Menschen äthiopischer Herkunft in vielen Lebensbereichen weit verbreitet ist, und dies trotz des Engagements der Selbsthilfeorganisationen. Auch ist es nicht das erste Mal, dass die Schulprobleme von Kindern von aus Äthiopien eingewanderten Familien, die in Petah Tikva leben, Schlagzeilen machen. So wurde zum Beispiel im Dezember 2007 in den Medien berichtet, dass die vier „äthiopischen“ Mädchen, die in die Lamerchav Grundschule in Petah Tikav (eine der drei Privatschulen, die sich im Sommer 2009 geweigert haben, die „äthiopischen“ Kinder einzuschulen) gehen, keinerlei Kontakt zu ihren Mitschülerinnen haben. Sie lernen in einer separaten Klasse, ihre Pausenzeiten sind so gelegt, dass sie nicht mit den allgemeinen Pausen zusammen fallen, und ein Taxidienst bringt sie zur Schule und nach Hause, so dass sie nicht mit dem Schulbus fahren. Auch 2007 rechtfertigte die Schule ihre Maßnahmen mit einem Verweis auf ihren Elitestatus sowohl in akademischer als auch religiöser Hinsicht. Als eine angesehene religiöse Institution habe sie das Recht, Kinder, die zu Hause einen Fernsehapparat oder einen Internetanschluss haben, nicht einzuschulen. Darüber hinaus befänden die fraglichen Kinder sich nicht auf dem von der Schule geforderten Bildungsniveau.
Im Sommer 2009 war allerdings das Erziehungsministerium fest entschlossen, die Einschulung der Kinder an den Privatschulen durchzusetzen. Die Konfrontation spitze sich zu, nicht zuletzt angesichts mangelnder Alternativen. Die öffentlichen religiösen Schulen waren nicht bereit, die Kinder einzuschulen. Sie weisen darauf hin, dass im letzten Schuljahr bereits ein Viertel ihrer Schüler in Petah Tikva Kinder von aus Äthiopien stammenden Familien waren (647 von 2.500 Kindern), während nur 70 „äthiopische“ Kinder andere Schulen in der Stadt besuchten. Sie erklärten weiterhin, dass Kinder von Neueinwandern besonders viel Hilfe benötigen, die ihre Schulen nicht leisten können, da sie angesichts ihre Budgetprobleme kaum in der Lage sind, ihre „normalen“ Aufgaben zu erfüllen. Auch werden die „normalen“ Aufgaben – nach Angabe der Schulen – durch die Anwesenheit der Einwandererkinder immer schwieriger. Soweit sie es sich finanziell leisten können, nehmen Eltern ihre Kinder von Schulen mit einem hohen Anteil von Einwandererkindern und schicken sie in Privatschulen. Dadurch bleiben meist nur Kinder der ärmsten gesellschaftlichen Schichten und der Neueinwanderer in den öffentlichen religiösen Schulen. An einer der fünf Schulen dieser Art in Petah Tikva war die „Abwanderung“ in den letzten Jahren so stark, dass am Ende nur noch „äthiopische“ Kinder an der Schule waren.
Die Vertreter der Schulen heben hervor, dass sie ihren Beitrag zur Integration der Neueinwanderer leisten wollen, dass aber auch andere Schulen sich daran beteiligen müssen. Angesichts der hartnäckigen Weigerung der (öffentlich finanzierten) Privatschulen, die Kinder von aus Äthiopien neueingewanderten Familien einzuschulen, drohte das Forum der öffentlichen religiösen Schulen in Zusammenarbeit mit dem Eltern-Lehrerverband von Petah Tikva mit einem Streik. Das Schuljahr sollte in der Stadt nicht beginnen, solange das Problem nicht durch die Einschulung der Kinder in den Privatschulen gelöst war. Erziehungsminister Gideon Sa’ar schloss sich der Forderung an und lehnte einen Kompromissvorschlag, separate Klassen für diese Kinder in den Privatschulen einzurichten, mit der Begründung ab, dass es sich dabei um „kleine Ghettos“ handle.
Eine Welle der Empörung über den Rassismus der beteiligten Privatschulen erfasste ein breites Spektrum der öffentlichen Debatte. Regierungschef Benjamin Netanyahu sah in der Haltung der Privatschulen einen “Angriff auf unsere Moralvorstellungen, der unserem Ethos widerspricht, das uns als Land, als Gesellschaft, als Juden, als Israeli eigen ist“. Staatspräsident Shimon Peres sprach von „einer Schande, die kein Israeli akzeptieren kann“. Der ehemalige Erziehungsminister und frühere Vorsitzende der Meretz Partei, Yossi Sarid erklärte, dass die verweigerte Einschulung das gesamte Bildungssystem in Frage stelle und dass “sich jeder Israeli unweigerlich mit den äthiopischen Kindern identifizieren muss, vor denen das Tor der Apartheit zugeschlagen wurde”. Auch das geistige Oberhaupt der ultra-orthodoxen Shas Partei, Rabbiner Ovadia Yosef beteiligte sich an der Debatte. Er gab bekannt, dass jeder Leiter einer der Shas Bewegung zugehörigen Schulen entlassen werde, falls er sich weigere, äthiopische Kinder einzuschulen.
Angesichts dieser Welle der Empörung gab es wenige Gegenstimmen. Natürlich versuchten vor allem Vertreter der betroffenen Privatschulen zu erklären, dass es sich nicht um Rassismus handelt, sondern um sachliche pädagogische Überlegungen und die legitime Ausübung der institutionellen Autonomie.
Ganz vereinzelt gab es auch Stimmen, die die öffentliche Empörung kritisch betrachteten, ohne notwendigerweise die Haltung der Privatschulen zu rechtfertigen. So veröffentlichte zum Beispiel Gideon Levy einen kritischen Kommentar, in dem er unter anderem bemerkte: „Oh, wie schön sind wir, wie aufgeklärt erscheinen wir uns selbst. Seht wie wir den Rassismus bekämpfen, unverzagt und kompromisslos. Und doch wird diese Schande in kürzester Zeit vergessen sein, und dann bleiben uns die vielen anderen Erscheinungsformen des Rassismus der Gesellschaft, gegenüber denen wir verschlafen gleichgültig bleiben. [...] Es ist zum Beispiel kaum abzuschätzen, wie viele der selbstgerechten empörten Eltern bereit wären, ihre Kinder in eine Klasse zu schicken, in der die Mehrheit der Kinder äthiopischer Herkunft sind. Oder wie viele würden eine Wohnung an einen arabischen Studenten vermieten? [...] Und wie viele Eltern sind über die nächtliche Selektion am [Eingang der] Klubs schockiert, in denen sich ihre jugendlichen Kinder vergnügen? Routinemäßig werden junge ‚andere’ ausgeschlossen – Äthiopier, Araber, Drusen, und manchmal auch ‚Mizrahim’ [aus nah- und mittelöstlichen Ländern stammende Juden]. [...] Der Fall der Schüler in Petah Tikva ist die Spitze eines Rassismus-Eisbergs. [...] In der selben Woche, in der sich das Land über die Äthiopier aufregte, berichtete Nir Hasson in Ha’aretz, dass die Stadt Jerusalem jährlich 577 Schekel [ca. 105 Euro] für einen Schüler in Ost Jerusalem und 2.372 Schekel [ca. 431 Euro] für einen Schüler in West Jerusalem zahlt. Ein Viertel, nur wegen der ethnischen Zugehörigkeit des Kindes. Das wird hier nicht als Rassismus angesehen. Das gilt auch für die Tatsache, dass in Ost Jerusalem 1.000 Klassenzimmer fehlen, nur weil die Einwohner Palästinenser sind. Niemand schreit bei diesen Enthüllungen auf, niemand empört sich darüber, auch nicht der [Staats-]Präsident, der gegen den Rassismus kämpft“.
In der Welle der Empörung sind auch andere Aspekte untergegangen, selbst solche, die mit den Ereignissen in Petah Tikva unmittelbar verbunden sind. So wurde zum Beispiel kaum darüber diskutiert, warum es Neueinwanderer aus Äthiopien gibt, und warum deren Kinder in religiöse Schulen gehen müssen. Erst in den 70er Jahren wurden äthiopische Juden als Juden im Sinne des Rückkehrgesetzes anerkannt. Grundlage dafür war eine Entscheidung des zu der Zeit amtierenden sephardischen Oberrabbiners Ovadia Yosef, der sie grundsätzlich als Juden anerkannte, allerdings mit der Auflage, dass sie pro forma zum Judentum konvertieren. Verständlicherweise wurde die Auflage von den Betroffenen als Beleidigung empfunden. Die Entscheidung ermöglichte die Organisation einer Einwanderungswelle, die 1984 als „Operation Moses“ begann, aber 1985 abgebrochen werden musste. Die „Operation Solomon“ (1991) sollte die übrigen Juden nach Israel bringen und damit die äthiopische Einwanderung abschließen. Allerdings wurden bei der Planung die Familien- und Sozialstrukturen in Äthiopien nicht in Betracht gezogen. Nach ihrer Ankunft forderten die Neueinwanderer, dass die Mitglieder ihrer Familien, die nicht als jüdisch anerkannt und mithin nicht mitgebracht wurden, auch einwandern dürfen. Wäre das Problem in der Form der Familienzusammenführung gelöst worden, wäre der Kreis der Anwärter wohl begrenzt gewesen. Statt dessen wurde jedoch die Konzeption der „Falash Mura“ gewählt. Diese Konzeption geht davon aus, dass es sich dabei um Menschen handele, die eigentlich oder ursprünglich jüdisch, aber zu irgend einem Zeitpunkt zum Christentum übergetreten sind. Der Nachteil der Konzeption ist, dass jede Anerkennung eines Menschen als in diesem Sinne jüdisch, automatisch alle Familienmitglieder dieser Person in potentielle Kandidaten für ein Anerkennungsverfahren verwandelt. 2005 fand die Regierung, dass es sich dabei um ein Fass ohne Boden handele, und beschloss, die Zahl der Falash Mura, die nach Israel einwandern dürfen, zu begrenzen. Das Projekt, das auf der Zusammenarbeit zwischen der Jewish Agency, dem Innen-, dem Außen- und dem Einwanderungsministerium beruhte, wurde 2008 offiziell geschlossen.
Allerdings hat 2009 Innenminister Eli Yishai (Shas) „auf eigene Faust“ – d.h. ohne Regierungsbeschluss und ohne die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien und der Jewish Agency, den Prozess der Einwanderung wieder aufgenommen. In diesem Rahmen sollen 3-9.000 Falash Mura nach Israel kommen und Staatsbürger werden. Yishai kann sich bei seinem Projekt auf die Hilfe sehr unterschiedlicher Interessengruppen stützen. Zum einen wird das Projekt von liberalen jüdischen Kreisen in den USA im Rahmen ihres Engagements gegen die Diskriminierung israelischer Behörden gegenüber äthiopischen Juden gefördert. Dabei weisen sie unter anderem auf die unterschiedliche Behandlung von Einwanderern aus Äthiopien und denen aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion hin. Die letzteren durften ihre nicht-jüdischen Familienmitglieder mitbringen. Wie sich auf grund der Bevölkerungszahlen vermuten lässt, handelt es sich dabei um keine geringe Anzahl. Nach der zum jüdischen Neujahr veröffentlichten offiziellen Statistik lebten im September 2009 ca. 7,5 Millionen Menschen in Israel (als Staatsbürger oder mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung). Ein Viertel dieser Menschen sind nicht-jüdisch (ca. 20 Prozent Palästinenser und ca. 5 Prozent „andere“). Im Vergleich dazu leben derzeit ca. 150.000 Menschen äthiopischer Herkunft in Israel (d.h. 2 Prozent der Bevölkerung). Ihre Familienangehörigen dürfen nur einwandern, wenn sie nachweisen können, dass sie jüdischen Ursprungs sind. Diese beschränkte Einwanderungsmöglichkeit wurde 2008 auf Regierungsbeschluss aufgehoben, bis sie Yishai 2009 wieder eröffnet hat.
Andererseits wird Yishais Projekt von religiösen Strömungen des rechten politischen Lagers unterstützt. Abgesehen von den Arbeitsplätzen, die der Einwanderungsprozess für Menschen dieser Kreise in den damit verbunden Institutionen und Konvertierungsprogrammen geschaffen hat, sehen diese in der Einwanderung aus Äthiopien einen Beitrag zur Lösung des „demographischen Problems,“ d.h. der als Gefahr wahrgenommenen Möglichkeit, dass das Wachstum der palästinensischen Bevölkerung in Israel die jüdische Mehrheit eines Tages in Frage stellen könnte. In diesem Rahmen erscheinen Einwanderer aus Äthiopien besonders attraktiv, weil sie nicht nur einen jüdischen Ursprung nachweisen müssen, sondern auch verpflichtet sind, sich nach ihrer Ankunft in Israel einem Schulungs- und Konvertierungsprogramm in eigens für diesen Zweck – zum Teil in der Westbank – errichteten Einrichtungen zu unterziehen. Erst nach Absolvierung dieses Programms werden sie angesiedelt. Aber auch in diesem Stadium gibt es noch Auflagen. So müssen unter anderem ihre Kinder religiöse Schulen besuchen.
Im Rahmen des Skandals um die separate Klasse für die vier Mädchen äthiopischer Herkunft im Dezember 2007 forderte Ophir Pines-Paz (Arbeitspartei), die Auflage in bezug auf die religiösen Schulen aufzuheben. Eine entsprechende Forderung wurde 2009 nicht laut. Statt dessen konzentrierte sich die Kritik auf die religiösen Privatschulen. Dies legt die Vermutung nahe, dass es bei der Auseinandersetzung um mehr ging, als die neueingewanderten Kinder. Privatschulen sind ein relativ neuer, aber sehr florierender Zweig des israelischen Bildungswesens. Ursprünglich war das israelische Schulsystem als einheitliches System konzipiert. Alle Kinder sollten nicht-religiöse staatliche Schulen besuchen. Allerdings wurde das Ideal nie ganz verwirklicht, unter dem Druck verschiedener Interessengruppen wurden auch „Nebenzweige“ eingerichtet. Zu diesen gehören zum Beispiel die öffentlichen religiösen Schulen, die ein Zugeständnis an die national-religiöse Bewegung waren. Neben dem öffentlichen Schulsystem gab es auch Privatschulen, insbesondere im ultra-orthodoxen Bereich, die aber keine öffentlichen Mittel erhielten. Die Situation änderte sich nach dem Wahlsieg des Likuds unter der Führung Menahem Begins im Jahr 1977. Seitdem wurden und werden insbesondere aufgrund der für die Regierung erforderlichen Koalitionsbildung immer mehr öffentliche Gelder für Privatschulen bereitgestellt. Gegenwärtig wird das Budget vieler Privatschulen zu 70 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert, und nach einem in diesem Sommer zur Verabschiedung vorliegenden Gesetz kann die öffentliche Finanzierung für ultra-orthodoxe Privatschulen auf 100 Prozent erhöht werden. Diese Entwicklung hat die finanzielle Grundlage für aus öffentlichen Geldern finanzierte Privatschulen geschaffen, die jedoch nur sehr beschränkt der Aufsicht des Erziehungsministeriums, insbesondere hinsichtlich des Curriculums, unterstehen. Entsprechend wuchs die Zahl der Privatschulen. Die verschiedenen religiösen Strömungen haben sich ihr eigenes Schulsystem auf- und ausgebaut, und auch im nicht-religiösen Bereich wurde diese Möglichkeit intensiv genutzt.
Die großen Mängel und zunehmenden Schwierigkeiten des öffentlichen Schulsystems sowie die allgemeinen sozialen Probleme haben diese Entwicklung begünstigt. So hat zum Beispiel die Shas-Partei ihr eigenes Schulsystem aufgebaut, dessen Attraktivität weniger auf dem Lehrangebot beruht, als auf den „Nebenleistungen“ wie zum Beispiel einem warmen Mittagessen für die Kinder. Dennoch sind viele der Privatschulen Eliteschulen. Das bedeutet in erster Linie, dass es sich um Kinder zahlungsfähiger Eltern handelt, während ein verbessertes Lehrangebot, günstigere Lernbedingungen und größere Lernerfolge lediglich potentielle Nebenwirkungen sind. Diese Art der Privatschulen beeinträchtigt die ohnehin schwierige Situation der öffentlichen Schulen. Der Besuch öffentlicher Schule ist im Prinzip kostenlos, d.h. die Eltern zahlen kein Schulgeld. Allerdings hat sich im Laufe der Jahre und angesichts der Budgetprobleme ein ständig wachsendes System von „Nebenkosten“ entwickelt, die die Eltern decken müssen. Somit gibt es eine zunehmende Reihe von Schulaktivitäten wie verschiedene (häufig für Kinder besonders attraktive) Unterrichtsfächer, Ausflüge, Nachhilfestunden, an denen nur die Kinder teilnehmen dürfen, deren Eltern dies bezahlen können. Wenn wohlhabendere Schichten ihre Kinder zunehmend in Privatschulen schicken, verlieren die öffentlichen Schulen diese Quelle ihrer zusätzlichen Einnahmen, die sie benötigen, um ihr Lehrangebot aufrecht zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es bei der Auseinandersetzung wohl im wesentlichen auch um einen Präzedenzfall handelte. Die entschiedene Drohung des Erziehungsministers den Privatschulen, die sich weigern, die ihnen zugewiesenen Kinder einzuschulen, die öffentlichen Gelder zu entziehen, ist Teil des Bestrebens öffentliche Förderung an ministerielle Einflussnahme und Aufsicht zu binden. Somit richtete sich der Widerstand dieser Schulen auch nicht nur gegen die Einwandererkinder. Darüber hinaus ist denkbar, dass die Schärfe der Auseinandersetzung auch durch andere Pläne des engagierten Erziehungsministers geschürt wurde. Sa’ar strebt eine allgemeine Reform des Schulsystems an. Nach seinen Vorstellungen sollen die öffentlichen religiösen Schulen das zentrale Schulsystem bilden, d.h. die Gewichtung soll von den nicht-religiösen auf die religiösen öffentlichen Schulen verschoben werden. Angesichts seines desolaten Zustands kann sich das nicht-religiöse öffentliche Schulsystem dem kaum widersetzen. Andererseits sind religiöse Privatschulen (oder zumindest ein Teil davon, wie die in Petah Tikva umstrittenen Schulen) die Hauptrivalen der religiösen öffentlichen Schulen im Konkurrenzkampf um zahlungsfähige Eltern. Diese Eltern ziehen es vor, ihre Kinder in Schulen ohne Neueinwanderer und sozialschwache Schichten zu schicken. Wenn Sa’ar religiöse Privatschulen zwingt, dennoch solche ungewollten Kinder aufzunehmen, kann er dadurch auch den Vorsprung, den diese Privatschulen vor „seinen“ Schulen haben, verringern. Dies erklärt, warum die Privatschulen ihre Weigerung mit der Notwendigkeit der Verteidigung ihres Elitestatus begründen.
Die Auseinandersetzung um die Einschulung der „äthiopischen“ Kinder in Petah Tikva war nur eine Runde von wohl vielen, die im Ringen um das Schulsystem noch folgen werden. Immerhin wurden schließlich alle betroffenen Kinder, wenn auch nicht am ersten Tag, so doch in den ersten Tagen des Schuljahres eingeschult. Im Dezember werden 36 weitere Kinder von aus Äthiopien stammenden Neueinwanderern in Petah Tikva ankommen. Es ist noch nicht geklärt, wo sie eingeschult werden. Gegenwärtig wird in Betracht gezogen, ihnen eine Schule außerhalb der Stadt zuzuweisen – und das trotz des gesetzlichen Anspruchs auf eine Schule am Wohnort.
Ursula Wokoeck
29. September 2009
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