Die politischen Verhältnisse im Nahen Osten gleichen bereits auf den ersten Blick einem unübersichtlichen Flickenteppich. Bei genauerem Hinschauen wird die Lage noch wesentlich komplizierter. Allein in den letzten sieben Jahren ereigneten sich zahlreiche Revolutionen und Regierungsstürze mit hunderttausenden Opfern. Bürgerkriege in Syrien und Yemen dauern noch immer an. Als Faustregel kann gelten: geteilte Identitäten und gemeinsame Feinde schweißen zusammen; bestehen allerdings keine Gemeinsamkeiten, ist die Wahrscheinlichkeit einer (militärischen) Auseinandersetzung umso höher. Das Schema scheint sich zu bestätigen, wirft man einen Blick auf die von Rivalitäten geprägte Beziehung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien: 2016 beendete Saudi-Arabien seine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran und der religiöse Gegensatz zwischen dem schiitischen Iran und dem mehrheitlich von Sunnit_innen bevölkerten Saudi-Arabien spiegelt sich auch in der militärischen Parteinahme wieder. Während der syrische Schlächter lediglich durch die militärische und finanzielle Unterstützung des Irans (und Russlands) überlebensfähig bleibt, unterstützt Saudi-Arabien die sunnitischen Oppositionsgruppen, unter denen sich auch der Islamische Staat und die Al-Nusra-Front befinden.
Allein dieser Einblick zeugt bereits von einem vielschichtigen und komplexen Verhältnis – ohne überhaupt andere arabische Staaten oder jeweilige innenpolitische Konstellationen einbezogen zu haben. Und auch wurde in diesem Zusammenhang noch nicht die Gretchenfrage gestellt: „Wie hält man es eigentlich mit Israel?“
Eine Konferenz des Begin-Sadat-Center for Strategic Studies der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan (Israel) beschäftigte sich mit den strategischen Herausforderungen für Israel, die von Iran, Saudi-Arabien und den übrigen Golfstaaten ausgehen. Gerade das von Konflikten überschattete israelisch-iranische Verhältnis nahm eine prominente Rolle innerhalb der Veranstaltung ein. Seit die islamische Revolution 1979 das Regime des Schahs endgültig beendete, gilt der Iran als eine der größten Bedrohungen für die Existenz Israels. Die vom Iran finanzierten islamistischen Terrororganisationen Hezbollah, Hamas und Islamischer Jihad sind verantwortlich für einen großen Teil der brutalen Attacken auf Jüdinnen_Juden im Nahen Osten. Die radikal schiitische Hezbollah mit ihrem Streben nach einer vollständigen Vernichtung Israels bewies in der Vergangenheit bereits eindrücklich, was die Verschränkung von islamisch motiviertem Antisemitismus mit materiellen Vernichtungshandlungen bedeutet. Mittlerweile verfügt die Hezbollah über mehr als 150.000 Raketen, darunter zahlreiche Langstreckenraketen aus iranischer Produktion. Doch nicht nur die „konventionelle“ Bewaffnung des Irans bereitet Kopfzerbrechen, sondern vor allem die Angst vor möglichem atomarem Kriegsgerät in iranischen Händen wächst. Zwar soll durch den sogenannten „Iran Deal“ zwischen USA, Großbritannien, Russland, Frankreich, Deutschland und China mit dem Iran sichergestellt werden, dass das iranische Atomprogramm ausschließlich für friedliche Zwecke verwendet wird. Kritiker_innen wie Emily Landau vom Institute for National Security Studies attestieren dem Vertrag hingegen, entgegen seiner Intentionen weniger Transparenz zu schaffen. So gebe es zwar Inspektionen der nuklearen Anlagen durch die International Atomic Energy Agency (IAEA), diese werden allerdings drei Wochen im Voraus angekündigt. Genug Zeit also, um mögliche Hinweise auf den Bau einer nuklearen Massenvernichtungswaffe beiseite zu schaffen. Militärische Einrichtungen sind von den Inspektionen der IAEA vollständig ausgeschlossen. Auch gibt es Berichte, dass der Iran bereits vor 2015 über ausreichend Ressourcen verfügte, um bis zu zehn Atombomben zu bauen. Dass derartige Waffen – sollte der Iran über sie verfügen – gegen Israel eingesetzt werden würden, ist eine international geteilte Befürchtung.
Der frühere oberste geistliche Führer des Irans, Ayatollah Ali Khamenei, bezeichnete Israel als „Krebsgeschwür“, das „ausgelöscht“ werden müsse. Auch Mahmud Ahmadinejad, zwischen 2005 und 2013 iranischer Präsident, intensivierte die Abkapslung des Irans von der westlichen Welt. Darüber hinaus verschärfte seine öffentliche Leugnung der Shoa die antiisraelische und antisemitische Staatsdoktrin. Während Ahmadinejads Äußerungen international Rügen und Ablehnung hervorriefen, gibt sich sein Nachfolger Hassan Rouhani stattdessen als gemäßigter, auf Dialog und Diplomatie setzender Herrscher. Dennoch stellt die Außenpolitik des derzeitigen iranischen Präsidenten eine Bedrohung für die Sicherheit Israels dar. Am 10. Februar 2018 drang eine iranische Drohne aus Syrien in den israelischen Luftraum ein. Als Reaktion zerstörte Israel die Kommandostation in Syrien, von der die Drohne gelenkt wurde. Die iranische Strategie, Militärbasen auf fremdem Staatsgebiet zu errichten, zeugt dabei von politischem Kalkül: denn der israelische Angriff auf iranische Ziele in Syrien dient dem Iran nun als Anlass, Israel sowohl in der Weltöffentlichkeit, als auch innerhalb der eigenen Bevölkerung zu diskreditieren. Wie Thamar E. Gindin, Lehrbeauftragte für Iranistik am Shalem College, zusammenfasst, wirft der Iran der israelischen Regierung vor, implizit den Islamischen Staat zu unterstützen, indem Israel diejenige Position zerstörte, von welcher aus Iran den IS in Syrien zu bekämpfen versuchte. Der Stellvertreterkrieg sei auch aus einer weiteren Perspektive attraktiv für den Iran: im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel, Iran und Hezbollah kann mit Syrien eine weitere Front zum angrenzenden Israel eröffnet werden. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll in Anbetracht dessen, dass die Hezbollah an der Seite Assads momentan noch tief in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt ist. Denn solange iranische Truppen und Kämpfer_innen der Hezbollah in Syrien agieren, fehlt deren Schlagkraft im Libanon, um Israel aus dem Norden anzugreifen.
Vor diesem Hintergrund verdeutlicht sich die Relevanz des „Drohnenvorfalls“ im Frühjahr 2018. Die Bedrohungen, denen Israel von Seiten arabischer paramilitärischer Organisationen – u.a. im Libanon, in Syrien und in Palästina – sowie deren Unterstützer_innen und Verbündeten ausgesetzt ist, ist seit Jahrzehnten allgegenwärtig und doch bezeichnet die UN-Botschafterin der USA Nikki Haley den Drohneneinsatz als „Weckruf für die Welt.“ Benjamin Netanyahus Warnung auf der Münchner Sicherheitskonferenz, sich gegen die iranische Bedrohung zu verteidigen und – falls notwendig – sowohl gegen den Iran selbst, als auch gegen dessen Verbündete vorzugehen, erlangte die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit. Weniger beachtet wurden allerdings die nächsten Sätze, mit denen sich Netanyahu direkt an das Publikum der Konferenz wandte: „I want you to support the people of Iran.“ Dieses Plädoyer ist womöglich sehr viel bedeutsamer als Netanyahus Warnung an seinen Nachredner Mohammad Javad Zarif, iranischer Außenminister: denn tatsächlich herrscht innerhalb der eigenen Bevölkerung große Unzufriedenheit mit dem iranischen Regime. Verarmung, Korruption, Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit, Unterdrückung von Frauen und Verfolgung von Homosexuellen sind nur einige Konsequenzen seit der Islamischen Revolution. Die Wut der Iraner_innen äußerte sich in den letzten Monaten in zahlreichen Demonstrationen gegen das Regime, die teilweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei führten. Besonders die iranischen Frauen, die sich als Zeichen des Protests gegen die Sharia öffentlich ohne staatlich verordnete Kopfbedeckung zeigten, bekamen unter dem Hashtag #WhiteWednesdays internationalen Zuspruch. Zehntausende Menschen demonstrieren landesweit und auch in europäischen Städten finden Proteste statt. Eine Kampagne von StandWithUs zeigt Videobotschaften von Israelis, die sich mit den iranischen Demonstrant_innen solidarisieren. Denn: Israel und Iran sind keine Feinde, der gemeinsame Feind ist vielmehr die Islamische Republik.
Denn solange die Islamische Republik weiterbesteht, bleibt deren Ziel die Vernichtung des israelischen Staats und seiner Bürger_innen. Der „Drohnenzwischenfall“ war eine weitere Drohgebärde des Irans und deutet gleichzeitig an, mit welchen Mitteln der nächste militärische Konflikt ausgetragen werden soll. Die Angst vor der iranischen, schiitischen Expansion teilt derweil auch Saudi-Arabien. Gemeinsame Feinde schweißen eben zusammen und so ist es auch nicht verwunderlich, dass es gegenwärtig zu ungewohnten Verbrüderungen kommt: im Kampf gegen den Iran gehen Israel und Saudi-Arabien eine strategische Allianz ein. Der frühere Verteidigungsminister Israels, Moshe Ya’alon bestätigt: „We and the Arabs, the same Arabs who organized in a coalition in the Six-Day-War to try to destroy the Jewish state, today find themselves in the same boat with us. The Sunni Arab countries, apart from Qatar, are largely in the same boat with us since we all see nuclear Iran as the number one threat against all of us.” Und so kam es erst in der letzten Woche zu einer historischen Wende im saudi-arabischen Umgang mit Israel: Flüge von und nach Tel Aviv dürfen ab sofort den saudischen Luftraum passieren. Bleibt nur zu hoffen, dass solche Akte der Annäherung langfristig über rein zweckmäßige und temporäre Allianzen hinausreichen.