Israels NGO-Gesetz: “Es ist unvorstellbar, dass Israel sich wie Putin oder Erdogan verhält”

Nachdem Israels Premierminister Benjamin Netanjahu seine Absicht bekräftigt hat, die Vorschriften für die Finanzierung israelischer NGOs durch ausländische Geldgeber zu verschärfen, warnt Ralf Fücks, Präsident der Heinrich-Böll-Stiftung, vor einem solchen Schritt. „Das wird eine rote Linie sein, es ist wichtig, dass Israel eine Demokratie bleibt“, sagte Fücks im Gespräch mit Walla! NEWS während seines Besuchs in Israel.

In den letzten 20 Jahren hat Ralf Fücks Israel regelmäßig besucht. Der aktuelle Besuch des Präsidenten der Heinrich-Böll-Stiftung – es wird sein letzter in dieser Funktion sein – findet zu einer Zeit statt, in der Premierminister Benjamin Netanjahu eine verschärfte Fassung des NGO-Gesetzes vorantreibt, das auch die nach dem renommierten Schriftsteller benannte Stiftung betrifft. Fücks hat diesbezüglich eine klare Botschaft.

„Der Erlass des NGO Gesetzes wird eine rote Linie sein“, sagte er im Gespräch mit Walla! NEWS. „Wir werden politischen Druck auf die israelische Regierung ausüben, um sie von diesem Schritt abzuhalten. Selbstverständlich werden wir dabei weder zu Sanktionen noch zu einem Boykott gegen Israel aufrufen – solche Maßnahmen lehnen wir entschieden ab – aber wir werden eine öffentliche Kampagne einleiten. Sollte das Gesetz durchgehen, wird das nicht nur Auswirkungen auf Israels Beziehungen zu den Ländern Europas haben, sondern auch auf sein Verhältnis zur Europäischen Kommission.“ Ein Großteil von Israels Wirtschaft, Forschung und Entwicklung hängt stark von der Partnerschaft mit der Europäischen Union ab.

„Wir agieren in Dutzenden von Ländern“, so Fücks. „Wir haben Büros in 33 Ländern, darunter auch in Russland und der Türkei. Es ist unvorstellbar, dass Israel kurz davor ist, Schritte einzuleiten, die wir sonst von Putin oder Erdogan erwarten würden.“ Dem Leitbild der Stiftung liegen grüne Werte zugrunde – neben der Unterstützung von erneuerbaren Energien und nachhaltiger Entwicklung arbeitet die Stiftung aber auch an der Förderung von Zielen, die der linken Seite des politischen Spektrums in Israel und Europa zuzuordnen sind: die Förderung von Menschenrechten, Geschlechtergleichheit und Demokratie.

Auf die Frage, ob er nicht verstehe, dass Demokratieförderung in Israel – und vielleicht nicht nur dort – als Arroganz oder gar als Versuch aufgefasst werden könnte, Werte zu diktieren, antwortete Fücks: “Wir arbeiten nicht in Israel, um dem Land Demokratie zu bringen. Unser Büro wurde vor 20 Jahren vor dem Hintergrund der komplexen und tragischen Geschichte Deutschlands und Israels eröffnet. Wir arbeiten nicht mit Regierungen, sondern mit Menschen.“

Seine Vorstellung von Demokratie entspricht der liberalen europäischen Vision, die sich deutlich vom Demokratieverständnis eines Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan unterscheidet. Demnach liegt die Bedeutung von Demokratie nicht nur im Sieg an der Wahlurne; nicht nur der Wille der Mehrheit zähle, sondern auch die Wahrung eines gesellschaftlichen Pluralismus, sodass auch Minderheiten die Möglichkeit haben, sich zu äußern. Israel sei ein kosmopolitisches Land, ein dynamisches Einwanderungsland mit einer lebendigen Arena für ideologischen Austausch. Laut Fücks wäre es schrecklich, wenn sich das Land von der Welt abkapseln würde.

Momentan fühle sich die Stiftung aufgrund der öffentlichen Atmosphäre in Israel noch nicht unter Druck gesetzt. Das unterscheidet sie von ihren israelischen Partnerorganisationen. Diese spüren den Druck und sorgen sich um ihre Zukunft, sollte das Gesetz verabschiedet werden. “Wir predigen nicht, wir zwingen niemanden dazu, uns zuzuhören, ” erklärte Fücks auf die Frage, ob er nicht verstehen könne, dass Menschen in Israel, Ungarn oder Griechenland nicht unbedingt empfänglich für liberale Prediger aus Deutschland seien. In Ungarn wurde diese Woche auf Initiative von Premierminister Viktor Orban ein ähnliches Gesetz verabschiedet, dass die Arbeit von NGOs mit finanziellen Quellen im Ausland stark einschränkt.

“Wir pflegen eine tiefe Beziehung zu Israel, wir verurteilen und bekämpfen die BDS Bewegung. Wir stellen uns denen entgegen, die Israel schaden oder den Staat delegitimieren wollen. Wir stehen voller Überzeugung zu Israels Existenzrecht – allerdings positionieren wir uns kritisch gegenüber Israels Besatzungspolitik und wünschen uns ein Friedensabkommen zwischen Israel und seinen Nachbarn.“

Seine Weltsicht sieht sich häufig der Kritik ausgesetzt, keinen Bezug zu den alltäglichen Sorgen und Problemen vieler Menschen zu haben. Laut Fücks ist die Kritik teils berechtigt – es erweist sich oft als schwierig, die Botschaft zu vermitteln. Liberale werden oft als weltfremd und herablassend wahrgenommen. Die Eliten haben die Schwachen in der Gesellschaft enttäuscht. Während die Starken im Zeitalter der Digitalisierung von Globalisierung und Einwanderung profitieren, zählen noch mehr Menschen zu den Verlierern. Sie fühlen sich verunsichert und entwurzelt, und diese Stimmung spiegelt sich in den Ergebnissen des Brexit-Referendums und den US-Wahlen wider.

Das Israelbüro der Heinrich Böll Stiftung versucht, nicht nur die zu erreichen, die bereits von ihrer Botschaft überzeugt sind, und dementsprechend nicht nur innerhalb ihrer Komfortzone mit Umweltschützern in Tel Aviv zusammenzuarbeiten. So arbeitet die Stiftung auch darauf hin, ultra-orthodoxe Frauen zu stärken und Dialoge mit den Siedlern zu führen. Die Stiftung führt im Normalfall zwischen 20 und 25 Projekte mit lokalen Partnern in Israel durch, die thematisch breit gefächert sind: dazu gehören der Umweltschutz, deutsch-israelische Beziehungen, literarische Treffen, die abwechselnd in Israel und Deutschland stattfinden, und die Förderung des Friedens.

Fücks kommt noch einmal auf das NGO-Gesetz zu sprechen. Obwohl er seine Worte sorgfältig wählt, ist seine Aussage entschieden: es ist essenziell, dass Israel demokratisch bleibe. Als der Präsident des deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, das israelische Parlament besuchte, brachte er dieses Anliegen auch im Gespräch mit dessen Präsidenten Juli Edelstein auf. Fücks betont, dass der israelische Premierminister die israelisch-europäischen Beziehungen nicht für interne Machtspielchen aufs Spiel setzen dürfe. “Ich weiß nicht, ob man Trump vertrauen kann. Auf Deutschland dagegen kann Israel sich verlassen. Die Beziehungen der beiden Länder sind einzigartig und wir dürfen diese nicht leichtfertig aufs Spiel setzen”, warnte der Präsident der Stiftung und Freund Israels.

Original: http://news.walla.co.il/item/3073905?utm_source=whatsup&utm_medium=sharebuttonapp&utm_term=social&utm_content=whatsup&utm_campaign=socialbutton